Von der Schönheit der einfachen Dinge
Sehr geehrte Frau Dr. Menges,
mich haben Sie auch neugierig gemacht: wo sind bitte die ästhetischen Reize der neuen Rechtschreibung? Darf ich Ihnen meine Standardbeispiele vorhalten:
Schlussszene Schlußszene / Basssolo Baßsolo / die helllila Klemmmappe, die Kaffeeernte, der Stofffetzen, die Kopfpfnuss, die Umklapppappe...
und all die schönen neuen Trennungen wie Ins-tanz usw. alles wurde schon x-mal dargestellt.
Halt mal! Doch doch, jetzt sehe ich es auch: Die neuen Schreibweisen sind nicht nur einfacher, sondern auch viel, viel schöner.
Reine Geschmackssache: Es soll Leute geben, die reisen wahnsinnig gerne in den Vatikan, weil dort das Nachtleben so aufregend sein soll. Andere reisen dorthin, um sich geistliche Unterwäsche in den Spezialgeschäften zu kaufen. Soll ganz verführerisch sein.
Sie haben recht: man müßte alles noch viel mehr vereinfachen. Das Dreierles-ß muß leider (warum eigentlich leider?) ganz verschwinden. Es hat die Deutschen schon immer so verwirrt. Weg damit.
Die »weitere enorme Vereinfachung besonders der Groß- und Kleinschreibung« ist auch sehr wichtig, das ist nur allzu wahr. Wie schön und leicht verständlich für jedermann ist die Lektüre etwa der Gedichte von Stefan George oder die Verlautbarungen der RAF aus den 70er Jahren. Man sollte diese Texte als Grundschullektüre einführen. Die vielen Großbuchstaben unterbrechen immerzu den Lesefluß und jedesmal gerät man dabei ins Stocken. Wie soll man da ein Buch jemals zu Ende lesen?
Ja und dann die »Vereinfachte Ausgangsschrift«, das ist erst eine Errungenschaft! Wie bitte: »Kein Mensch regt sich darüber auf, sie verschwindet einfach!«? Ich dachte, sie solle erst eingeführt werden. Diesen Minimalvergleich sollten Sie uns vielleicht noch erläutern. Bei uns in der SZ war zu lesen, daß selbst die Lehrerin, die diese neue Schrift den Kindern beibringt, sie ziemlich unharmonisch findet im Vergleich zu der seit Jahrzehnten geläufigen Schreibschrift, die die Kinder bisher gelernt haben. Forscher allerdings haben herausgefunden, daß diese zu viele Schnörkel und rückläufige Bewegungsrichtungen hatte, was die Kinder feinmotorisch nicht auf die Reihe brachten.
Es gibt sie noch, die guten Dinge Von 1791 bis 1872 lebte in Amerika ein heute fast vergessener Maler und Erfinder, der besonders durch seine Historienbilder, Landschaften und Porträts hervorgetreten ist. Auch als Schriftkünstler hat er sich einen Namen gemacht. Er hat eine Schrift geschaffen, die völlig ohne jeglichen Schnörkel und ohne eine einzige rückläufige Bewegungsrichtung auskommt. Dumm, daß die Pädagogikexperten auf die nicht gekommen sind. Ich persönlich habe sie in meiner Schulzeit perfekt beherrscht und einen großen Teil der Kommunikation mit meinen Mitschülern mit ihr bestritten. Ihr riesiger Vorteil: Sie ersetzt zugleich die Braille-Schrift für die Blinden, da sie bei richtiger Anwendung auch über das Gehör wahrnehmbar ist. Der Schriftkünstler hieß Samuel Finley Breese Morse. Die Schrift besteht nur aus Strichen und Punkten, ist also noch einfacher als das berühmte Kreuzchen der Analphabeten. Schriftbeispiel:
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in »alter« Schrift: Renate Maria Menges
Ist doch an Ästhetik nicht zu überbieten! Ich persönlich möchte nicht mehr zurück. Und gelernt ist diese Schrift ruckizucki, von wegen vier Schuljahre!
Ihr ·-- ·- ·-·· · ·-· ·-·· ·- ---- · -· -- ·- -· -·
(Diese Schrift hat noch einen weiteren, bisher völlig übersehenen Vorteil: Die Tastatur kann auf 2 (in Worten zwei) Tasten reduziert werden.)
Aber kommen Sie doch mit rüber in das neue Gästebuch, da plaudert es sich viel gemütlicher.
Walter Lachenmann Krottenthal 9, 83666 Waakirchen
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