Diskussionsversuch meinerseits
Entschuldigung, daß ich mich in den Dialog zwischen Herrn Lachenmann und Frau Menges einmische, aber nun ja, dies ist eben ein offenes Forum.
1.(L) Weshalb sollte die Rechtschreibung eigentlich überhaupt reformiert werden? Gab es da tatsächlich so gravierende Probleme, erfüllte sie nicht ihren Zweck?
Das ist ja nicht das Problem. Sie wurde eingeführt über Umwege der KMKonferenz. Aber nun haben wir sie, seit 1. August 1998. Ich war nicht glücklich darüber ich war erstaunt. Aber bitte- man gewöhnt sich daran und nun finde ich, dass die Rechtschreibung ( ich habe mit vielen Leuten darüber diskutiert ) noch mehr vereinfacht werden sollte. Warum? Weil die jetzige Form nicht optimal ist und weil das Zurück für mich ( uns) nicht in Frage kommt. Ich finde keineswegs, Herr Ickler, dass das die beste Variante ist.
Was ist denn dann das Problem? Wenn man an einem bewährten System etwas ändern möchte, muß man schon einen triftigen Grund angeben können. Etwas einfach nur hinzunehmen, weil es halt eingeführt wurde, halte ich für geradezu fatal. Würden Sie denn auch die Wiedereinführung der Todesstrafe einfach hinnehmen, wenn die Obrigkeit sich nun einmal dafür entschieden hat? Ich bin sicher, auch daran könnte man sich gewöhnen.
Wenn Sie die jetztige Form nicht für optimal halten, warum wählen Sie sie dann als Ausgangspunkt für weitere Bemühungen? Die alte Rechtschreibung ist in praktisch jeder Hinsicht viel näher am Optimum.
Ausgerechnet Beschlüsse der KMK derart devot zu akzeptieren, ist besonders schwer für mich nachzuvollziehen, da diese Institution überhaupt keine rechtlichen Kompetenzen hat. An sich handelt es sich nur um einen unverbindlichen Club von Kultusministerbeamten. Daß dieser Club, irgendwo im Niemandsland zwischen Bund und Ländern, bürgerfern und undemokratisch wie nur irgend möglich, dennoch eine so große faktische Macht ausübt, ist eines der großen Mängel unserer Verfassungswirklichkeit.
Eine radikale Lösung- die Großschreibung nur bei Namen und Satzanfang anzuwenden, ist für die deutsche Schrift mehr als ungewöhnlich.
Eine gemäßigte Lösung die Kleinschreibung von allem außer Namen und am Satzanfang ist für die deutsche Schrift genauso ungewöhnlich. Als Vereinfachungsschritt würde sie aber unerfindlicherweise einen Schritt vor der totalen Abschaffung der Großschreibung verharren. Sie sind doch für weitere Vereinfachung. Die wäre in der gemäßigten Lösung also immer noch möglich.
Aber diese Regeln der Getrenntschreibung müssen erst nocheinmal überarbeitet werden.
Damit auch nocheinmal richtig ist? Verzeihung, das drängte sich gerade auf...
Die momentante Reformregelung zur Getrenntschreibung ist schon deshalb völlig unbrauchbar, weil sie der Zusammenschreibung keinen wahren Bedeutungsgehalt mehr zumißt. Wenn dieser doch vorhanden ist, handelt es sich um Zufall. Warum soll man so eine Zusammenschreibung dann eigentlich noch praktizieren, wo ist dann ihr Sinn? Die bisherige Zusammenschreibung hatte Sinn, deswegen existierte sie auch überhaupt in der hergebrachten Form.
2. (L) Weshalb sollte sie auf eine Weise neu konstruiert werden, auf die von alleine kein Mensch, auch kein Kind oder gar ein legasthenisches jemals gekommen wäre?
Warum haben Sie sich, Herr Ickler und weitere Professoren nicht vorher zusammengesetzt und etwas gegen die Reform unternommen. Jeder wusste, dass sie kontrovers diskutiert wurde.
Ist für Sie eigentlich immer schon alles zu spät, wenn Ereignisse eintreffen? Mit dieser Mentalität kann man jeden Mißstand widerstandslos hinnehmen, denn man hätte ja vorher lauter meckern können. Die Atomkraftgegner hätten demnach auch mit ihrem Protest aufhören müssen, nachdem das erste Atomkraftwerk in Betrieb genommen wurde.
Bedenken Sie dabei auch, daß Ablehnung sehr wohl auch schon im Vorfeld vorhanden war, doch wurde sie von den meisten nur nicht laut ausgesprochen, weil dem Reformvorhaben sowieso keine großen Durchsetzungschancen beigemessen wurde. Als die Reform dann doch da war, kam sie für die breite Öffentlichkeit völlig unverhofft.
Bevor die Reform in die Tat umgesetzt wurde, war auch gar nicht klar, was denn nun wirklich ihr Inhalt sein würde. Worauf hätte sich die Kritik richten sollen? Reformgegner konnten in dieser Situation leicht als stockkonservative Totalverweigerer aus Prinzip, ihr Protest als unsachlich diffamiert werden.
Also nicht einer »natürlichen« Tendenz entgegenkommend, sondern im Gegenteil völlig unverständliche, inkonsequente und nicht lernbare Formen erfindend?
Das müssen Sie das Gremium fragen. Meine Absicht ist jetzt einfach daran weiterzuarbeiten und nicht dabei zu bleiben um zu sagen: Die alte Orthographie war gut. Wir nehmen sie wieder.
Frau Menges, wie wollen Sie an einer Sache weiterarbeiten, deren gegenwärtigen Stand sie noch nicht einmal selbst erklären können?
Ist das vernünftig, zu sagen: Ich weiß zwar nicht, ob das wirklich so gut ist, was wir da gerade machen (Orthographieschusterei abseits der natürlichen Sprachentwicklung), aber wir sollten auf jeden Fall weitermachen?
Was ist daran so falsch, zu sagen: Die alte Orthographie war gut, wir nehmen sie wieder? Warum ist der Rückzug aus dem Sortiment der Optionen so unerbittlich gestrichen, wenn er doch aufgrund Bestandsaufnahme naheliegt?
Selbst Schreibbewußte und Reformwillige wie Frau Menges machen Fehler, die sie bisher nicht hätten machen können
Aber das ist ja nicht das Problem, dass die Reform noch mehr Fehler verursacht. Wir sollten wirklich daran arbeiten, mit der Getrenntschreibung weiterzukommen.
Wieso ist das kein Problem? Sind mehr Fehler etwa wünschenswert? Wie gesagt, ein erheblicher Fortschritt der Getrenntschreibung wäre die Rückkehr zum Bewährten; nicht einfach nur, weil sie die Wärme des Vertrauten hat, sondern weil sie tadellos nachweisbar die bessere Funktionalität hat, ohne effektiv schwieriger lernbar zu sein.
Wenn Sie dagegen nur die größtmögliche Schreibvereinfachung erzielen wollen, müßten Sie die Getrenntschreibung einfach ganz abschaffen und alle Wörter ohne Zwischenraum schreiben. So braucht der Schreiber sich nicht mehr mit der Frage abzuplagen, ob ein Leerzeichen gesetzt werden müßte oder nicht. Zulesenistdaszwarnichtmehrganzsoeinfach,vorallemwenndannauchnochdiegroßkleinschreibungabgeschafftist,aberdieperspektivedeslesendenfindetjainderreformohnehinschonkeineberücksichtigung.
3. (L) Wer hätte gar Vorteile von einer noch radikaleren »Vereinfachung«, also die konsequente Kleinschreibung oder derartiges?
Das kann ich nur mit einer Gegenfrage beantworten: Was spricht wirklich dagegen?
Dagegen spricht, daß dann Sätze (vor allem bei der flexiblen Syntax der deutschen Sprache) nicht mehr so einfach für den Lesenden zu durchschauen sind, weil z.B. Verben nicht mehr auf Anhieb von deren Substantivierungen zu unterscheiden sind. Die übliche Großschreibung ist eine wichtige Lesehilfe. Daß der Leser das Geschriebene durchschaut, ist doch auch im Interesse des Schreibers. Wozu sollte er sonst etwas schreiben? Warum sollte man die Verständigung unnötig erschweren? Orthographie soll der bestmöglichen Vermittlung von sprachlichem Sinngehalt dienen. Eine anderes Ideal zu propagieren, kann nur Pervertierung entspringen.
Wer nur klein schreiben will, weil er aus irgendwelchen Gründen Probleme mit der Großschreibung hat, kann das doch gerne tun. Es wäre allerdings ein Schaden, das zur allgemeinen Norm zu machen, so daß man auch in Büchern, Zeitungen, Zeitschriften nichts anderes mehr erblicken würde.
Christian Melsa 22149 Hamburg
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