Rheinischer Merkur
Aus den Yahoo-Nachrichten:
[...] Man werde zur «klassischen Rechtschreibung» zurückkehren, teilte Chefredakteur Michael Rutz am Mittwoch mit. «Die Rechtschreibreform atmet in Teilen den Geist der Unbildung und enthält, betrachtet man sie im Ganzen, neben einigen sinnvollen Neuerungen zu viel Widersinn, als dass sie unverändert 2005 in Kraft gesetzt werden dürfte», erklärte Rutz.
Deshalb werde man die Ergebnisse der von den Kultusministern angekündigten «Reform der Reform» von der Position der «einleuchtenderen und anspruchsvolleren klassischen Rechtschreibung aus abwarten», hieß es in der Mitteilung. Dies geschehe auch, um den publizistischen Druck auf die notwendigen Reform-Korrekturen zu erhöhen. [...]
Das Editorial (Michael Rutz):
Klar ist, dass sich etwas ändern muss an den Inhalten der überflüssigerweise angezettelten Rechtschreibreform: Sie enthält neben einigen sinnvollen Neuerungen zu viel blühenden Unsinn, als dass sie unverändert 2005 in Kraft gesetzt werden dürfte.
Im Rheinischen Merkur hatten wir deshalb nur die zwingendsten sprachlichen Neuerungen umgesetzt und so die Provokation für den (nicht nur literarisch, sondern auch altsprachlich) gebildeten Leser begrenzt – unsere Leser haben uns das gedankt. Die Ankündigung anderer wichtiger Publikationen, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, bedeutet zunächst nichts anderes als eine Entscheidung darüber, von welcher Position aus man die anstehenden Reform-Reformen abwartet.
Auch wir werden diesem Prozess vom wesentlich einsichtigeren Fundament der „alten“ Rechtschreibung zusehen, um dann zu beurteilen, wie vernünftig das Residuum ist. Der Kanzler, hören wir, ist für die Durchsetzung der Reform. Das allerdings ist belanglos. Die Sprache gehört ihm nicht.
Aus Die Notbremse (Hans-Joachim Neubauer):
[...] Längst ist aus der Reform eine Reform der Reform geworden. Listen auf Listen mit Wörtern erscheinen, werden revidiert oder variiert; jede neue Auflage der Wörterbücher schafft neue Rätsel: Was gestern richtig war, ist heute falsch und wird morgen zur tolerierten Variante.
So gelang es den Reformern, den Kredit, den sie mit einigen achtenswerten Vorschlägen errangen, zu verspielen. Niemand wird eine permanente, kultusbürokratisch gesteuerte Revolution des Schreibens wollen, keinem kann daran gelegen sein, den orthografischen Graben zwischen den Generationen weiter zu vertiefen. Mit ihrem Boykott streiten die Verlage für verständliche, einheitliche und sinnvolle Regeln.
[...]
Die Verweigerer der neuen Rechtschreibung folgen nicht nur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die im August 2000 nach einem Jahr das orthografische Experiment für sich beendete. Auch die meisten deutschsprachigen Autoren, die Wissenschafts- und Kunstakademien, viele angesehene Literaturverlage und andere Kulturorganisationen verweigern sich seit Jahren vehement den Eingriffen in die alte Orthografie. Sie fordern eine Rückkehr zum Duden von 1991, sie fordern Einheitlichkeit der Schreibverhältnisse, sie fordern – darin sind sie eben Deutsche – den Rückzug des Staates aus der Rechtschreibung. Sie wissen: Die Sprache wächst, und die Normen haben ihr zu folgen. Nicht umgekehrt.
[...]
Die Orthografie gehört den Schreibenden und Lesenden. Deshalb kehrt der Rheinische Merkur, unterstützt vom Wunsch vieler Leser, demnächst zur klassischen Rechtschreibung zurück. Wir verstehen diese Entscheidung als ein Bekenntnis zur literarischen Tradition, aber auch als Schritt in Richtung auf eine sinnvolle und pragmatische Einigung. Die Geschichte der Reform zeigt: Ohne publizistischen Druck ist sie nicht zu reformieren.
Dabei geht es uns nicht um die Tradition um ihrer selbst willen; sinnvolle und behutsame Änderungen schließen wir nicht aus, schließlich ist die Orthografie ein Teil der lebendigen Sprache. Was sich bewährt, werden wir übernehmen – auf der Basis der klassischen Regeln und, wie wir glauben, im Einvernehmen mit unseren Lesern.
(Dies und mehr zu finden im Brennpunkt Rechschreibdebatte unter http://www.merkur.de/aktuell/do04/rsd_index.html.)
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Jan-Martin Wagner
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