Von Lahn, Knixen und anderem
Im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform ist in diesen Tagen die Unfähigkeit, ja Feigheit der Politiker beklagt worden, getroffene Fehlentscheidungen zu korrigieren und den Gordischen Knoten einfach zu durchschlagen. Ein Grund dafür mag sein, daß sich, wie Stanislaw Lec einmal so trefflich erkannt hat, ein Gordischer Knoten, in dem der eigene Kopf steckt, nicht auf die übliche Art lösen läßt. Diese Politiker handlangern als Marionetten einer Lobby, deren Teil sie selbst sind; der Wille des Volkes, das sie durch seine Stimme in ihre Position gebracht hat, ist ihnen gleichgültig.
Daß es aber in der Politik auch anders gehen kann, belegt das Beispiel der schon fast vergessenen Stadt Lahn, die in den an blödsinnigen Einfällen überreichen siebziger Jahren durch einen gewaltsamen Akt gezeugt, dann aber doch wieder ziemlich rasch beerdigt wurde. Sie erhielt sogar ein eigenes Autokennzeichen L. Der Brockhaus widmete dem entschlafenen Kunstgebilde 1990 nur noch diese wenigen Zeilen: ehemalige (kreisfreie) Stadt in Hessen, am 1. 1. 1977 durch Zusammenschluß der Städte Gießen und Wetzlar sowie 14 weiterer Gemeinden gebildet; aufgrund starker politischer Opposition zum 31. 7. 1979 wieder in die Städte Gießen, Wetzlar sowie die Gemeinden Heuchelheim, Lahnau und Wettenberg aufgelöst.
Hier hat die starke politische Opposition tatsächlich Wirkung gezeigt, trotz des zweifellos gewaltigen Aufwandes, der damals Planung und Durchführung des Zusammenschlusses zweier eigener Städte und mehrerer Gemeinden begleitet haben muß. Im Hinblick auf die Rechtschreibung kann das nur bedeuten, daß die Reformgegner die Stümper in den Kultusministerien und Parlamenten nicht aus dem Schwitzkasten lassen dürfen. Denn Stümper sind es allemale; Hommes de lettres, die außer ihrem aktuellen Tagesgeschäft noch andere, tiefere Dimensionen hätten, vermag ich jedenfalls nicht zu erkennen. Und wenn der amtierende Bundeskanzler verrät, er habe seit langem nicht mehr geschrieben, dann ist das ein offenes Wort, aber eine intellektuelle Blamage. Augenblicklich agieren grinsende, salbadernde oder betroffenheitstrunkene Chargen auf der politischen Bühne. Carlo Schmid, Theodor Heuss oder Winston Churchill gehörten einer anderen Welt an. Im greisen Helmut Schmidt scheint wohl noch ein Abglanz von ihr auf.
Zu etwas anderem. Vor einiger Zeit fand ich bei einem Autor des 19. Jahrhunderts die Schreibung einen Knix machen. Ich hielt sie für eine Eigentümlichkeit des betreffenden Schriftstellers und beachtete sie nicht weiter. Jetzt fand ich dieselbe Schreibung aber auch in den 1947 im Insel-Verlag erschienenen Lebenserinnerungen (Im Lichte der Freiheit) des Kunst- und Literarhistorikers Hermann Uhde-Bernays (1875-1965). Wer weiß mehr über den Knix? Übrigens schreibt Uhde-Bernays immer nur getrennt kennen lernen, kennen zu lernen. So machte es auch der Altgermanist und Mittellateiner Karl Langosch (1903-1992) in seinem Buch Politische Dichtung um Kaiser Friedrich Barbarossa (Berlin, Verlag Lambert Schneider, 1943). Wie er oder seine Verlage, vornehmlich die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, es später gemacht haben, weiß ich im Augenblick nicht. Das jüngste mir bekannte Beispiel für die Getrenntschreibung stammt aus der lateinischen Grammatik von Hans Rubenbauer und J. B. Hofmann (2. Aufl., München 1949): ich habe kennen gelernt. In der überarbeiteten Fassung (12. Aufl., 1995) heißt es kennengelernt. Dies sind nur Beobachtungen, nicht etwa Wertungen.
Erfreulich: Am Samstag erhielt ich eine wohlformulierte Einladung zur Konzertsaison 2004/2005 des Kölner Kammerorchesters unter Helmut Müller-Brühl in klassischer Rechtschreibung.
Zum Schluß ein bedenkenswertes Wort von Hans Habe: Reform hat keine Lieder.
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Heinz Erich Stiene
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