Tippfehler: Zwischen Evidenz und Spekulation
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Ich habe ja nicht bezweifelt, daß es ein Tippfehler ist, aber eine Erklärung, warum gerade die eine Kombination so fehlerträchtig ist, haben Sie immer noch nicht gegeben. Vielleicht spielt die Häufigkeit von phili- eine Rolle (Philipp u. a.). Ergonomisch wäre ein Vergreifen bei nebeneinanderliegenden Tasten in jeder Umgebung zu erwarten.
In meinem kleinen Aufsatz über konstrastiv (vor zehn Jahren im Sprachdienst veröffentlicht) habe ich auch zu mehreren kombinierten Ursachen greifen müssen, um diesen häufigsten deutschen Druckfehler zu erklären.
Sonderbar ist hier wie dort, daß der Fehler unbemerkt bleibt. Und das keineswegs nur bei flüchtig hingeworfenen Forumsbeiträgen, sondern auf offiziellen Netzseiten von Anwaltskanzleien usw., die ihre Philisophie bekanntgeben. Konstrastive Linguistik steht sogar auf Bucheinbänden in großen Lettern! Das ist ergonomisch überhaupt nicht zu erklären.
Also, zunächst stelle ich fest, wie mühsam PHILOSOPHIE zu tippen ist. Ich bin ein vielfaches langsamer als bei durchschnittlich schwierigen Wörtern desselben Umfangs. Warum? P-I-O liegen über der Normalposition der Finger, und zwar außen, über den relativ ungeschickten drei äußeren Fingern. Direkt nebeneinander. Und man muß jeden dieser drei Buchstaben in PHILOSOPHIE gleich zweimal aktivieren. Das alles ist offensichtlich unangenehm und macht Probleme. Warum nun PHILI statt PHILO? Erstens meine ich, daß bei diesen drei Buchstaben gerade der vierte Finger für O relativ schwierig zu sortieren ist, weil der Mittelfinger immer noch relativ geschickt ist (er ist dem Zeigefinger ähnlicher), und der kleine Finger ist immerhin eindeutig außen, so daß man dort nicht viel verwechseln kann. Der Ringfinger ist dazwischen eingeklemmt. Aber wichtiger: Nachdem P und I getippt wurden das allein wäre noch nicht schwierig , käme der Ringfinger mit dem dazwischen liegenden O dran. Vorher muß er aber noch schnell ein L erreichen, und das liegt in der Zeile darunter. Und dann mit demselben Ringfinger gleich wieder das O darüber, also sofort wieder nach oben? Das ist einfach schwierig und fehlerträchtig. Somit wird manchmal ein ähnliches Programm aktiviert: Statt der Ringfinger-Wiederholung L-O verschafft man sich mit L-I Erholung. Das hat auch mit der Ungeduld beim Tippen zu tun: L-I kann man praktisch gleichzeitig tippen, bei I-L-O muß man mit der Hand und/oder dem Ringfinger blitzschnell zuerst nach unten und dann nach oben. Ich finde, PHILI ist aus ergonomischer Sicht ein naheliegender Ersatz für PHILO. Auch die Fortsetzung dürfte eine Rolle spielen: SOPHIE mit O-P. Man weiß" nach PHI, daß das O drankommt, und glaubt es in SOPHIE abzuarbeiten. Da fällt den verhedderten Fingern nicht so leicht auf, daß es dann schon etwas zu spät ist.
Gerade Fall konstrastiv zeigt, wie leicht gewohnte Fingerprogramme als Tippfehler für sehr ähnliche Buchstabenfolgen hineinrutschen können. KONSTR ist eben überaus vertraut und wird schon mal statt KONTR getippt. KONS dürfte überhaupt die häufigste Erweiterung von KON sein. Also braucht es nicht einmal eine Schwierigkeit, um das gewohnte S hineinzumogeln, das nicht nur nach KON angesagt ist, sondern ebenso vor TR. Es gehört statistisch geradezu dort hinein, von beiden Enden her gesehen. Zugleich ist in diesem Fall das erste (falsche) ST ein Vorgriff auf das zweite (richtige) ST ein Fehler, wie man ihn auch von mündlichen Verhasplern kennt.
Ein ähnlicher Fall ist ..TZTEN statt TZEN. Ersteres ist so häufig (Imperfekt und Partizip: sie verletzten, die Verletzten), daß TZT als gewohnte Erweiterung von TZ (jedenfalls vor EN) in den Fingern steckt, und schon haspeln man das zweite T mit ab. [Meinen Tippfehler HASPELN statt HASPELT habe ich absichtlich stehengelassen: Offensichtlich eine rein mechanische Verwechslung, der Abruf einer ähnlichen, gewohnten Sequenz. Allenfalls könnte hinzukommen, daß die schnellen Finger schon das N in MAN erzeugen wollten, also gewissermaßen eine Abkürzung gewählt haben; vgl. oben.]
Ergonomisch wäre ein Vergreifen bei nebeneinanderliegenden Tasten in jeder Umgebung zu erwarten: Das hört sich plausibel an, ist aber doch nur theoretisch. Die Finger sind doch völlig verschieden, und die Buchstabenfolgen sind ganz individuell anspruchsvoll, was auch mit der Verteilung auf der Tastatur zusammenhängt. Man kann ja auch nicht sagen: Ergonomisch wäre zu erwarten, daß man beim Zweifingersystem irgendwelche zwei Finger verwendet. Alle möglichen Kombinationen müßten gleich häufig auftreten, zum Beispiel linker Daumen und rechter Mittelfinger gleich häufig wie linker Ringfinger und linker Zeigefinger oder sonst eine Kombination. Es sind aber immer falls vorhanden die beiden Zeigefinger.
Ein bißchen Realitätsbezug und Differenzierung muß schon sein für eine zielstrebige Klärung. Sonst behaupte ich beispielsweise zurück: Aus physiologischer Sicht könnte eine Katze genausogut die Gestalt einer Kugel haben. Nun beweisen Sie mal, warum das nicht stimmt. Da müßte man bei den Einzellern anfangen ...
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