Inhalt, Stil und Handwerkszeug bei Diskussionen
Was kann man aus der Diskussion mit Wolfgang 16 im MAZ-Forum lernen? Mir fiel vor allem das Vorurteil auf, das W. 16 gegenüber Reformkritikern hegt: Zitat: Warum ich unter Pseudonym geschrieben habe, habe ich hier schon einmal erläutert. Jetzt muss ich es etwas deutlicher sagen: Ich habe einige Bekannte, die mich für einen völlig normalen Menschen halten. Aber sie werden nicht bei ihrer Ansicht bleiben, wenn sie merken, dass ich mich an einer Diskussion mit gerade mal einem Dutzend Menschen beteilige, die allen Ernstes glauben, dass die Reform von 1996 auch sechs Jahre danach noch völlig zurückgenommen werden kann, obwohl sie nach der Entmachtung des Duden keinen Ansprechpartner mehr haben, in Ermangelung eines solchen sich plakativ an die Kultusminister wenden müssen (an welche eigentlich? An die 16 deutschen oder auch an die österreichischen, luxemburgischen, liechtensteinschen, belgischen oder schweizerischen?) und allen Ernstes glauben, dass die alle sich noch einmal zusammensetzen werden, um einen Beschluss zu zu fassen des Inhalts: Was wir 1996 beschlossen haben, war alles Quatsch, wir nehmen es zurück und geben zu, dass wir Idioten sind. Ich möchte nicht, dass man mich für einen Sektierer hält, der solchen Illusionen anhängt oder glaubt, ihnen widersprechen zu müssen.
(Wer bin ich?, 29.06.2002, 16.10 Uhr)
Man mag es zwar nicht glauben, daß jemand so denkt, aber wenn das wirklich seine Meinung ist, dann wird er auch wirklich so reden, handeln, abstimmen etc.
So einer Auffassung kann man m. E. auf zweierlei Weise begegnen: mit Sachargumenten und mit einer generellen Haltung, die nicht in dieses Bild paßt. Mehr noch: Jedwede Polemik, die dazu geeignet ist, für dieses Bild passend gemacht zu werden (bzw. jede Argumentation, die dafür gehalten werden kann), sollte vermieden werden. (Nicht daß ich denke, daß dieser Hinweis gerade dringend erforderlich sei oder sich sämtliche Oppositionellen im MAZ-Forum davon angesprochen fühlen müßten -- es geht mir mehr um ein Fazit als um eine Mahnung, aber um ein Fazit, das von der Beobachtung geprägt ist, wie leicht man es sich selber und anderen schwermachen kann.)
Es kommt darauf an, die Inhalte der eigenen Argumentation klar und glaubwürdig darzustellen; recht haben und recht bekommen sind verschiedene Dinge. Manche Gedanken, so richtig sie sein mögen, bringen nichts (oder schaden gar), wenn sie als Pauschalargument daherkommen; sie können dagegen nützlich sein, wenn sie im richtigen Moment und auf die richtige Weise geäußert werden. Mir hat die Diskussion im MAZ-Forum noch einmal deutlich gezeigt, daß es manchmal sehr darauf ankommen kann, seine eigenen Argumente, bevor man sie anbringt, nicht nur im Hinblick der Wirkung auf jemanden mit einer vernünftigen, sachbezogenen Grundhaltung zu betrachten, sondern auch mit einer vorurteilshaften Einstellung. Es geht mir nicht darum, Glacéhandschuhe zu propagieren, sondern Selbstsicherheit und Selbstbewußtsein, die auf ehrlicher Selbstkritik fußen: Würde ich mich als notorischer Reformkritikergegner davon angesprochen oder abgeschreckt fühlen?
Viel wichtiger ist jedoch ein anderer Eindruck: Im MAZ-Forum wurde als Beleg für bestimmte Argumente häufig pauschal auf www.rechtschreibreform.com verwiesen -- das hilft niemandem, denn um aus den vielen Einträgen die wirklich passenden herauszufischen, bedarf es einer Geduld, die den Willen, sich sachkundig zu machen, derjenigen, die man zu überzeugen versucht, meist übersteigt. Ich will keineswegs vom Prinzip des mündigen Bürgers abrücken, der sich selber informiert, aber das sollte man ihm leicht machen. Zur Unterfütterung der Diskussion, hier wie in anderen Foren, halte ich daher eine Argumentesammlung für sinnvoll, unter der man die zu bekannten und beliebten Thesen (verschiedener Couleur) bislang getroffenen bzw. widerlegten Aussagen thematisch gebündelt findet.
Dann kan man in einer Diskussion unmittelbar auf die zu verhandelnden Aussagen hinweisen, mittels Links, die direkt zu den jeweiligen Themen führen (so, wie Christian Melsa in seinem Beitrag Uneinheitlichkeit vom 2.7. -- endlich einmal! -- direkt auf seine Analyse der Wörterbücher verwiesen hat). Diese Sammlung könnte zum Beispiel unter www.argumente.de entstehen, und mit den neu geordneten rsr.com-Beiträgen ließe sich die Außenwirkung der Rechtschreibreformseiten wesentlich erhöhen.
Ich weiß, daß das viel Arbeit bedeutet, aber da ich den Eindruck habe, daß momentan etwas auf Sparflamme und hauptsächlich im MAZ-Forum diskutiert wird (OK, beim Spiegel und der Zeit habe ich in letzter Zeit nicht oft nachgeschaut), sind evtl. Kräfte frei, dies in Angriff zu nehmen. Ich schlage als ersten Schritt vor, eine Sammlung von Thesen und Themenüberschriften von Teilaspekten der Reformschreibungsprobleme zu beginnen. Als weiteren Schritt könnten sich dann einzelne dazu bereit erklären, als Moderatoren für genau eines (oder mehrere) dieser Themen zu fungieren, was bedeutet, die Einträge unter rsr.com zu durchforsten und die passenden Texte neu zusammenzufassen. (Unter diesem Blickwinkel kan man ja bereits entsprechende Themenvorschläge im 1. Schritt machen.) In diesen Sammlungen sollten nur die Moderatoren etwas eintragen oder löschen dürfen, für evtl. Diskussionsbedarf kann auf die Quellen unter rsr.com verwiesen werden bzw. ein Parallelstrang eingerichtet werden.
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Jan-Martin Wagner
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