Kirchen und Religion
Enzyklika „Gott ist die Liebe“
zu F.A.Z. v. 26.01.2006
Es heißt, Papst Benedikt habe seine Enzyklika auf deutsch niedergeschrieben. Dies klingt glaubhaft, denn nur in der Muttersprache kann das Thema Liebe mit der nötigen Empathie durchdacht werden. Vielen Menschen deutscher Zunge ist es jedoch nicht vergönnt, diese Gedanken unverfälscht kennenzulernen. Zwischen Papst und Volk drängt sich neuerdings eine Mittler-Instanz von Unberufenen, die die Unterwerfung des Textes unter die Sprach- und Schreibregelungen der Kultusminister betreibt und entsprechende Eingriffe vornimmt.
War in dem wohl authentischen Text nach kath.net noch die Rede von dem Prasser im Gleichnis Jesu, „der den notleidenden Armen übersehen hat“, so steht in der überarbeiteten Fassung der Bischofskonferenz falsch klingend: „der den Not leidenden Armen …“. Ähnliches ist noch zwei weitere Male zu lesen. Es wird suggeriert, daß der Verfasser, ein Meister der theologischen Prosa, das Wort „notleidend“ nicht kennt. Diese übereifrige Unterwerfung unter das staatliche Schreibdiktat ist umso ärgerlicher, als die Kultusminister in diesem Fall den Anspruch auf Alleingültigkeit ihrer Reformschreibweise seit kurzem wieder aufgegeben haben. Dasselbe gilt für das gespaltene „so genannt“, das seit dem Öffnen der Büchse der Reform-Pandemie durch Presse geistert.
An dem Satz: „Dieses Herz sieht, wo Liebe not tut …“ hat man einen wahren orthographischen Greuel verübt: „…wo Liebe Not tut“ läßt eher an kirchliche Probleme mit sexueller Not und Notzucht denken. Es ist die seit Sommer 2005 verbindliche falsche Schulschreibung.
Die „Reform“ ist unter dem Vorwand vom Zaun gebrochen worden, die Rechtschreibung an die Entwicklung der Sprache anzupassen. Tatsächlich haben die Reformer eine achthundertjährige Sprachentwicklung zurückgedreht, indem sie „vereinfachend“ dem Substantiv „Not“, das nichts mehr von „Notwendigkeit“ hat, das seltenere Adverb „not“ einverleibten, das nur noch „nötig“ oder „notwendig“ bedeutet.
Von den übrigen störenden Wortaufspaltungen, „ineinander greifen“, „auseinander fallen“, „zufrieden stellend“ und dergleichen, ist „hinein genommen“ sogar neu falsch.
Der in der F.A.Z. dankenswerterweise in herkömmlicher Rechtschreibung abgedruckte Teil der Enzyklika zeigt in der reformierten Fassung nur die penetrant allgegenwärtigen neuen „ss“. Aber auch hier kann man die völlige Nichtsnutzigkeit der Neuregelung erkennen: Endständige „ß“ bezeichnen herkömmlich meist die Kürze des voraufgehenden Vokals. Die wenigen Fälle mit Langvokal lesen Muttersprachler immer richtig. Im Enzyklika-Text finden sich nur drei solcher Stämme: „bloß“„maß/gemäß“ und „groß“ (20mal). Um diese nach der neuen Regel als lang herauszuheben, ist die Konversion von 172 traditionellen „ß“ in „ss“ nötig. Davon sind aber 62 Prozent „daß“, womit niemandem geholfen ist.
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Sigmar Salzburg
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