Leserbrief, FAZ v 12.9.2005
Nichts ersetzt die Muttersprache
Zum Artikel „Verrückt (F.A.Z. vom 19. August): Mit Interesse habe ich den Artikel vom Protest gegen die verordnete Einführung des Englischen in der Wissenschaft zum Beispiel bei Antragsverfahren für sogenannte „Exzellenzcluster bei der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) und dazu den kurzen Kommentar der Zeitung „Verrückt gelesen. Beidem stimme ich voll und ganz zu, also auch der Überschrift, die in solcher Form, wie ich als langjähriger Leser Ihrer Zeitung weiß, nicht leichtsinnig von der Redaktion gewählt worden ist.
Was ich auf Veranstaltungen an Reden und Referaten aus dem Munde deutscher Wissenschaftler gehört habe, ist oft ein mit Selbstbewußtsein vorgetragenes haarsträubendes Englisch gewesen, dem jegliche Geschliffenheit fehlte. Und dem soll nun abgeholfen werden, indem die Forschung auf englisch betrieben wird? Qualität von Lehre und Forschung werden notwendigerweise weiter sinken. Erfahrungen mit Studenten in Indien, die ihre Grundausbildung bis zum B.A. in einer der vielen indischen Landessprachen erhalten hatten, zeigten, daß sie so gut wie nie den Standard erreichten, den ihre Kommilitonen erzielten, die mit Englisch aufgewachsen waren. Soll es so der übergroßen Mehrheit der deutschen Studierenden ergehen?
Auch in meinem eigenen Bildungsweg habe ich die Probleme kennengelernt. Obgleich ich das Fach Anglistik wählte, mehr als anderthalb Jahrzehnte in angelsächsischen Ländern studierte, lehrte und forschte und in Oxford promovierte, blieben mir sprachlich große Bereiche des Lebens, der Wissenschaft und Technik im Englischen fremd, wobei unbescheiden erwähnt werden muß, daß ich mich nicht scheute, eine Reihe von Büchern und Aufsätzen auf englisch zu schreiben. Zu meinem Bedauern mußte ich vor vielen Jahren einmal die Bitte ausschlagen, den Söhnen Indira Gandhis Nachhilfeunterricht in Mathematik und Naturwissenschaften zu geben weil mir schon die gewöhnliche und noch mehr die wissenschaftliche Begriffswelt auf jenen Gebieten unbekannt geblieben war.
Daß die DFG die jungen Forscher zwangsweise zu einem Weg auf englisch verweist, halte ich für höchst bedenklich, weil ein noch so gutes Englisch niemals die Muttersprache in den Wissenschaften ersetzen kann. Mir scheint es hier eine Parallele zur Politik zu geben: Versuchen nicht unsere Repräsentanten in Brüssel und anderswo bei ihren Reisen in die Welt mit ihrem angelernten Englisch zu brillieren? Wie wenig ihnen die deutsche Sprache wert ist, mag man dem Hin und Her in der Rechtschreibreform entnehmen. Diesem kümmerlichen „Vorbild scheinen die Bildungspolitiker und ihre ausführenden Organe und Institutionen zu folgen. Ausverkauf und Verschleudern der Werte der deutschen Sprache: ein Trauerspiel.
Professor Dr. phil. Johannes H. Voigt, D. Phil. (Oxon), Marbach am Neckar
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Sigmar Salzburg
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