Hans-Werner Eroms: "Was ist überhaupt eine Rechtschreibregel?"
Auf der Nachrichtenseite findet man Auszüge ohne Beispiele aus dem Festvortrag von Professor Dr. Hans-Werner Eroms, Universität Passau, der am 13. März 2002 im Rittersaal des Mannheimer Schlosses den Konrad-Duden-Preis 2001 der Stadt Mannheim entgegennahm.
Hier folgt ein Auszug mit Beispielen, der sich aber ebenfalls auf die Ausführungen, die die Rechtschreibreform betreffen, beschränkt. Hauptsächlich wegen dieser Thematik waren die Vertreter des VRS nach Mannheim gefahren.
____________________________________________
Es gilt das gesprochene Wort
Hans-Werner Eroms
Klammer und K-Frage: Konstanten und Kurzläufer in der deutschen Sprache
Deutsche Sprache, schwere Sprache mit dieser altbekannten Kennzeichnung betitelte der Spiegel (online Panorama) am 3.12.2001 seinen Artikel über die für Deutschland so enttäuschenden Ergebnisse der PISA-Studie. Der zitierte Slogan soll bekanntlich vor allem Menschen mit anderen Muttersprachen nachdrücklich darauf hinweisen, dass Deutsch nicht als einfach gilt. Jetzt aber waren die Inländer selbst gemeint. Deutschland im Bildungsschock. 250 000 Schüler aus 32 Staaten stellten ihr Wissen bei der Schulstudie 'PISA' unter Beweis. Die deutschen Teilnehmer schafften es gerade mal auf Platz 25, lautet die dazugehörige Meldung. Neben schlechten Ergebnissen in der Mathematik und in den Naturwissenschaften war es das beschämende Abschneiden beim Leseverständnis, bei der Erfassung von Textzusammenhängen, das die Bildungsexperten und die breite Öffentlichkeit wachgerüttelt hat. Wie wir es schon bei der Reform der Rechtschreibung erlebt haben, wird uns auch diesmal eine schier unübersehbare Flut von Deutungen und Ratschlägen auf allen Kanälen unserer modernen Kommunikationsnetze zuteil. Fast immer sind es Fundamentalkritiken
- an unserer Spaßgesellschaft, die das Lernen hintanstelle,
- an den überfrachteten Lehrplänen der Schule, die das Wesentliche nicht vom Unwesentlichen trennten,
- an der nicht zureichenden Betreuung durch Schule und Elternhaus.
Aber auch den folgenden Grund lesen wir immer wieder: die Vernachlässigung solider muttersprachlicher Bildung, den orthographiereformerischen Kniefall vor der fortschreitenden Legasthenisierung der Sprachkultur (Forschung & Lehre 2, 2002, S.76). Und in der Sendung von Sabine Christiansen vom 27.1.2002 Wieso sind wir Deutschen dümmer als andere? sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus: Wenn es überhaupt eine isolierte Maßnahme geben kann, um aus dem PISA-Dilemma herauszukommen, da würde ich sagen: an erster Stelle Sprache fördern, Sprache fördern, Sprache fördern.
Aber welche Sprache sollen wir denn eigentlich fördern? Sicher nicht die legasthenisierte was immer damit gemeint sein soll , und ist nicht vielleicht die deutsche Sprache auch mit solchen Hürden behaftet, dass man ihre Schwierigkeiten allenfalls umschiffen, nicht aber gänzlich aus dem Weg räumen kann?
[...]
Sprechweisen liegen im ständigen Kampf miteinander, es ist nicht so, dass die Sprache friedlich dahinfließt. Nein, Begriffe werden besetzt, wie man gesagt hat, sie dominieren dann die öffentliche Kommunikation. Sie rufen aber auch zwangsläufig Kritik hervor, sie wecken die Gegenseite auf. Abschalten gilt nicht in der öffentlichen Kommunikation. Wer sprachlich die Stunde verschläft, den bestraft das Leben.
Damit bin ich wieder bei der allgegenwärtigen Kommunikation im öffentlichen Bereich mit ihren Höhen und Tiefen, mit ihren sprachlichen Sternstunden und mit ihren banalen Niederungen. Wenn es auch nur wenige sind, die die Richtung vorgeben in der Ausdrucksweise des 19. Jahrhunderts oder den Trend setten in der gegenwärtigen , so sind wir alle es, die mitmachen und den Trends zum Durchbruch verhelfen oder sie zum Halten bringen, sie stoppen. Ob eine sprachliche Form eine neue Sonne ist, die für lange Zeit oder gar für immer (soweit man das für unser kulturelles Gedächtnis sagen kann) leuchtet, oder aber doch nur eine Sternschnuppe ist, die vielleicht einen gewaltigen Funkenregen streut, dann aber doch schnell verlischt, das entscheiden wir alle: Nehmen wir eine Ausdrucksweise an oder lehnen wir sie ab wir haben es in der Hand, wie es mit unserer Sprache weitergeht.
Aber welche Funktionen sind es, die über das Gelingen eines Sprachspiels entscheiden, die seinen Durchbruch ermöglichen oder sein Verglimmen bewirken?
Das lässt sich nun keineswegs pauschal beantworten. Es gibt eine solche Fülle von Faktoren, die wir in Rechnung stellen müssen, dass wir eigentlich nur mit der Chaostheorie weiterkommen können. Und so kann ich nur vor allgemeinen Aussagen, Patentlösungen, Wunderrezepten warnen. Noch sehr gut im Ohr haben wir die nun endlich sachlicher verlaufende öffentliche Diskussion um die Rechtschreibreform. Ich gehe hier nicht auf die inhaltliche Seite ein. Was die Debatte so interessant gemacht hat, sind drei miteinander eng verbundene Faktoren. Der erste ist: Von der Rechtschreibung und ihrer Reform sind alle betroffen, jeder und jede fühlt sich aufgerufen mitzudiskutieren. Der zweite: Die Debatte wurde und wird öffentlich ausgetragen. Waren es zunächst Berichte, Kommentare und Leserbriefe vor allem in den Printmedien, so ist es jetzt das Internet, wo sich das manifestiert. Diese Seite des neuen Mediums ist es, die noch viel zu wenig untersucht ist. Der Drang, sich Gehör zu verschaffen, mitzureden, mitzugestalten ist so vehement geworden und kann sich so austoben wie noch nie zuvor in der Kulturgeschichte der Menschheit. Natürlich gibt es auch hier qualitativ nichts Neues unter der Sonne: Die Internetdebatten lassen sich durchaus mit den großen geistesgeschichtlichen Debatten früherer Jahrhunderte vergleichen. Vor allem war es der epochale Streit um die Kirchenreform im 16. Jahrhundert; auch hier hatte ein neues Medium, der Buchdruck, gerade die Kommunikationsformen revolutioniert; sodann der Aufklärungsdiskurs im 18. Jahrhundert. Seit der Zeit sind es die Journale, die die Foren der Debatte abgeben.
Der dritte Faktor, der sich bei der Rechtschreibdiskussion beobachten lässt, ist wieder der, den wir gerade bei der Reaktion auf die PISA-Studie beobachtet haben: Fast alle, die sich äußern, haben Patentrezepte anzubieten. Das Gewebe von Motivationssträngen und Regularitäten wird als verwirrter gordischer Knoten angesehen und soll mit einem Schwerthieb zerschmettert werden. Natürlich ist die jeweils eigene Meinung das Ei des Kolumbus. So ist bei der Rechtschreibdiskussion die jahrhundertelang gewachsene Verflechtung von Einzelregeln und Schreibprinzipien als unstrukturierte Verfügungsmasse von Regelwildwuchs begriffen worden, in die man nach Gutdünken einschneiden dürfe. Es kann aber nur einen Mittelweg geben, der behutsam die Fäden aufnimmt, keine Maschen fallen lässt, d.h. alles berücksichtigt und vielleicht neu verknüpft, wie es im Großen und Ganzen ja auch geschehen ist.
Das öffentliche Engagement jedenfalls war merklich. Und das ist gut so. Mögen die Einzelmeinungen nun begründet oder unbegründet gewesen sein, fundiert oder absurd, es hat sich deutlich gezeigt, dass in Deutschland ein überaus großes Interesse an der Sprache besteht, stärker sogar als in Frankreich und den Niederlanden, wo kürzlich ähnlich behutsame Rechtschreibreformen zur Diskussion standen. Man darf hier vielleicht vermuten, dass sich die plurizentrische, ja geradezu föderale Struktur unserer deutschen Sprache auch darin niederschlägt, dass die kulturellen Belange nicht einer zentralen Instanz überantwortet werden wollen eine klare Bestätigung für die Verankerung der Kulturhoheit in Deutschland in kleineren Institutionen. Das Risiko von Ländersonderwegen, wie es sich ja bei der Rechtschreibreform gezeigt hat, muss dabei wohl in Kauf genommen werden. Aber natürlich nur so weit, dass schließlich ein Konsens gesucht wird, wie es auch geschehen ist.
Für mein Empfinden immer noch zu wenig ist den regionalsprachlichen Eigentümlichkeiten bei der Rechtschreibdiskussion nachgegangen worden. Ein Beispiel: Die Kürze und Länge von Vokalen ist für die Standardlautung und ihre Schreibung scheinbar ohne Probleme. Was aber, wenn diese quantitative Eigenschaft von Lauten mit einer qualitativen des Folgelauts untrennbar verknüpft wird? So ist es im Bairischen, wo es Schiiv und Fuus heißt gegen Schiff und Füess, die dialektale Plurale sind. Eine Erschwernis? Möglicherweise; aber die ausgleichende Gerechtigkeit sorgt dafür, dass bayrischen Schülern und Schülerinnen aus ihrem Dialekt auch Vorteile erwachsen. Die vertrackte Unterscheidungsschreibung des Artikels das gegen die Konjunktion dass merken sich die bayerischen Schüler und Schülerinnen an einer Lautunterscheidung, daas gegen dass, und können diese fehlerträchtige Klippe der deutschen Rechtschreibung elegant umschiffen.
Jedenfalls war die öffentlich geführte Debatte um die Rechtschreibreform ein Lehrstück für das Engagement der Bürger und Bürgerinnen für ihre Sprache und die von den Fachleuten erteilten Belehrungen, dass es doch nur um die Schrift ginge und Sprache und Schrift verschiedene Dinge seien, waren im Grunde etwas besserwisserisch: Schrift und Sprache gehören zusammen und dieser Zusammenhang wird auch so empfunden. Wir werden, wenn wir der K-Frage genauer nachgehen, sehen, wie dieser Zusammenhang sich zeigen kann.
Die Besserwisserei der Fachleute in der Rechtschreibdiskussion wurde im Übrigen noch in einer anderen Weise eines Besseren belehrt: In der Sprachwissenschaft war die Auffassung sehr verbreitet gewesen, dass Rechtschreibung eigentlich kein Thema sei, mit dem sich eine theoriebezogene Wissenschaftsdisziplin befassen müsste. Das sei allenfalls ein Schulproblem, ein Bereich, in dem nur durch geschicktes Einüben die Beherrschung der Regeln mechanisch und automatisch durchgeführt werden müsse. Weit gefehlt erst beim Debattieren über die Eingriffe in den Regelbestand zeigte sich, wie kompliziert die Rechtschreibregeln im Grunde sind: Sie gehorchen im Deutschen einer Vielzahl von Prinzipien. Vor allem ist es das so genannte Stammprinzip, mit dem die Wörter einen konstanten grafischen Ausdruck bekommen, indem man etwa Hand nicht mit t, wie man es spricht, sondern mit d schreibt, weil es Hände heißt, und dieses Wort nun wieder nicht mit e, sondern mit ä, weil es eben Hand heißt. Dieses Prinzip bildet sich seit dem späten Mittelhochdeutschen aus und ist ein Faktum der deutschen Sprachgeschichte, an dem auch niemand etwas ändern will. Die Schwierigkeit, eine alte oder neue Rechtschreibregel zu verstehen, merkt man im Grunde erst, wenn man sich selber bei Verstößen ertappt. So hatte ich mich, ich gebe es zu, in einem Fall auch von den Kritikern der Reformvorschläge anstecken lassen: Bekanntlich ist beschlossen worden, jetzt belämmert mit ä statt e und einbläuen mit äu statt eu zu schreiben, um diese Wörter an ihre Wortverwandten anzuschließen, damit auch sie dem Stammprinzip Genüge tun und besser zu lernen wären. Hier merkt der Sprachhistoriker auf: belämmert hat ursprünglich nichts mit Lamm zu tun, genauso wenig wie einbläuen mit blau. Dieses Wort geht auf mhd. bliuwen schlagen zurück und ist heute noch in der Pleuelstange vorhanden. Darf man hier dem Trend der Schreibung in der Bevölkerung nachgeben? Muss man nicht die sprachgeschichtliche Richtigkeit zur Geltung bringen? Oder ist nicht auch die Volksetymologie, die sich in Hunderten und, wenn man unseren Namenschatz dazurechnet, in Tausenden von Wörtern bemerkbar macht, eine sprachliche Regel und keine Fehlerhaftigkeit? Natürlich ist sie das. Aber eben das Aufdecken, was überhaupt eine Regel ist, dieser Lernprozess war ein ganz wichtiges Nebenergebnis der Rechtschreibdiskussion. Was mich betrifft, so habe ich klein beigegeben, als ich in einem Aufsatz über die Sprache des althochdeutschen Isidor von Hans Eggers (dem Dudenpreisträger von 1972!) gelesen habe, dass dem Isidorübersetzer eine Menge von Übersetzungsregeln als Schüler eingebläut war (Althochdeutsch, S.251), geschrieben mit äu, zehn Jahre vor der Rechtschreibreform!
[... ]
__________________________
Manfred Riebe
Vorstandsmitglied des VRS
Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.
- Initiative gegen die Rechtschreibreform
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg
Manfred.Riebe@raytec.de
http://www.vrs-ev.de
– geändert durch Manfred Riebe am 15.03.2002, 13.08 –
|