Rätselhafte mangelnde Zivilcourage unter Sprachwissenschaftlern
1. Eroms' Patenrezept zur Lösung des gordischen Knotens Rechtschreibreform
Walter Lachenmann schrieb am 19.03.2002 im Strang Konrad-Duden-Preis über den Vortrag von Professor Hans-Werner Eroms: Wir lernen hier und können die Lektion brauchen wie Kritik sich sanft und dennoch entschieden artikulieren kann.
Eroms wendet sich tatsächlich dagegen, den verwirrten gordischen Knoten der Rechtschreibreform mit einem Schwerthieb zu zerschmettern. Die Reformer hätten zwar in die jahrhundertelang gewachsene Verflechtung von Einzelregeln und Schreibprinzipien nach Gutdünken hineingeschnitten. Es kann aber nur einen Mittelweg geben, der behutsam die Fäden aufnimmt, keine Maschen fallen lässt, d.h. alles berücksichtigt und vielleicht neu verknüpft, wie es im Großen und Ganzen ja auch geschehen ist.
Mein Kommentar: In der Sprachwissenschaft geht es im Gegensatz zur Politik bei Problemlösungen nicht um Kompromisse, sondern es geht kompromißlos um die Erkenntnis, ob etwas richtig oder falsch ist. Ein Mittelweg ist aber ein Kompromiß und keine Kritik, die sich entschieden artikuliert. Eroms lobt die Reformer, die klammheimlich ihre Reform auf dem Weg über die Wörterbücher verschlimmbessern. Auf die inhaltliche Seite der Rechtschreibreform geht Eroms aber ausdrücklich nicht ein (Ich gehe hier nicht auf die inhaltliche Seite ein.)
2. Die Rolle der Fachleute und der Journale in der öffentlichen Debatte
Eroms: Von der Rechtschreibung und ihrer Reform sind alle betroffen, jeder und jede fühlt sich aufgerufen mitzudiskutieren. (...) Seit der Zeit (der Aufklärung im 18. Jahrhundert, MR) sind es die Journale, die die Foren der Debatte abgeben. Über die Besserwisserei der Fachleute in der Rechtschreibdiskussion schrieb Eroms: In der Sprachwissenschaft war die Auffassung sehr verbreitet gewesen, dass Rechtschreibung eigentlich kein Thema sei, mit dem sich eine theoriebezogene Wissenschaftsdisziplin befassen müsste. Das sei allenfalls ein Schulproblem, (...)"
Mein Kommentar: Journale, das sind Zeitungen und Zeitschriften, werden erst dann zum Forum der Debatte, wenn sich sachverständige Debattierer einfinden. Aber es diskutieren keineswegs alle, sondern nur wenige mit. Viele Sprachwissenschaftler versteckten sich hinter der Schutzbehauptung, die Rechtschreibung sei kein Thema für die Theorie, sondern lediglich für die Praxis. Relativ wenige Schreibberufler besaßen die Zivilcourage, sich öffentlich zu äußern. Nur sehr wenige mutige Sprachwissenschaftler hatten den Mut und die Fachkenntnis, gegen die selbsternannten Mannheimer Sprachpäpste zu argumentieren.
Interessierte Medienkonzerne sorgten über ihre Nachrichtenagenturen durch Täuschungsmanöver bzw. Desinformation dafür, daß die meisten Zeitungen ab 1. August 1999 auf den Neuschrieb umstellten und sogar die Leserbriefe nicht mehr authentisch abdruckten, sondern ebenfalls in die neue Primitiv- und Beliebigkeitsschreibung umwandelten. Deshalb halfen wir, eine neue Sprachzeitung, die DEUTSCHE SPRACHWELT, als eigenes Sprachrohr der Reformkritiker aus der Taufe zu heben.
Das Erscheinen der DEUTSCHEN SPRACHWELT trug mit dazu bei, daß die FAZ und andere Medien zur herkömmlichen Rechtschreibung zurückkehrten. Vgl. die Liste der reformfreien Medien: http://www.gutes-deutsch.de. Weil aber ein großer Teil der Presse seit August 1999 Nachrichten und Leserbriefe über die Rechtschreibreform wie in totalitären Staaten weitgehend unterdrückte oder in den Neuschrieb umfälschte, richteten die Reformkritiker notgedrungen Internetseiten für die Diskussion über die Rechtschreibreform ein.
3. Die Debatte über die Rechtschreibreform im Internet
Eroms: Waren es zunächst Berichte, Kommentare und Leserbriefe vor allem in den Printmedien, so ist es jetzt das Internet, wo sich das manifestiert. (...) Die Internetdebatten lassen sich durchaus mit den großen geistesgeschichtlichen Debatten früherer Jahrhunderte vergleichen. (...) erst beim Debattieren über die Eingriffe in den Regelbestand zeigte sich, wie kompliziert die Rechtschreibregeln im Grunde sind: Sie gehorchen im Deutschen einer Vielzahl von Prinzipien. (...) Die Schwierigkeit, eine alte oder neue Rechtschreibregel zu verstehen, merkt man im Grunde erst, wenn man sich selber bei Verstößen ertappt. (...) Aber eben das Aufdecken, was überhaupt eine Regel ist, dieser Lernprozess war ein ganz wichtiges Nebenergebnis der Rechtschreibdiskussion. (...) Jedenfalls war die öffentlich geführte Debatte um die Rechtschreibreform ein Lehrstück für das Engagement der Bürger und Bürgerinnen für ihre Sprache und die von den Fachleuten erteilten Belehrungen, dass es doch nur um die Schrift ginge und Sprache und Schrift verschiedene Dinge seien, waren im Grunde etwas besserwisserisch.
Mein Kommentar: So wie die Sprachwissenschaftler (Besserwisserei der Fachleute in der Rechtschreibdiskussion, Eroms) und andere Schreibberufler sich in der Presse sogar mit Leserbriefen zurückhielten, so wenig wagten es die meisten Sprachwissenschaftler, sich im Internet zu äußern. Es war im Gegenteil sogar so, daß die staatlich finanzierten Sprachvereine, die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), Wiesbaden, und das Institut für deutsche Sprache (IDS), Mannheim, auf ihren Internetseiten keine Diskussion zuließen und in ihrem Handbuch Förderung der Sprachkultur in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme, 1999, die Existenz der vielen reformkritischen Internetseiten und die meisten oppositionellen unabhängigen reformkritischen Sprachpflegevereine verschwiegen. Die Mannheimer Sprachpäpste haben Angst vor der Wahrheit, d.h. vor der Information und Aufklärung, insbesondere durch den VRS. Vgl. hierzu den Aufsatz Was bedeuten 'Wahrung' und 'Förderung' der Sprache und der Sprachkultur?, der das Verhalten der GfdS und des IDS darstellt und daher eine Schlüsselfunktion hat:
http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Cricetus/SOzuC1/SOVsRSR/ArchivSO/MRiebe1.htm
Die Internetseiten des VRS http://www.vrs-ev.de und http://www.gutes-deutsch.de enthalten Netzverweise auf viele reformkritische Netzseiten. Darunter hatten sich zu Diskussionsorten über die Rechtschreibreform die Netzseiten http://www.rechtschreibreform.com und http://www.deutsche-sprachwelt.de entwickelt. Leider ist das Diskussionsforum von http://www.deutsche-sprachwelt.de wegen Umbaus zur Zeit geschlossen. Neu entstanden ist die Seite http://www.vrs-ev.de, die schon ein Gästebuch hat und ebenfalls zu einem Diskussionsforum ausgebaut werden soll. Auf diesen Seiten diskutiert als kompetenter Sprachwissenschaftler Professor Theodor Ickler, der Träger des Deutschen Sprachpreises 2001, mit anderen Schreibberuflern.
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Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen! (VRS)
Manfred Riebe
Vorstandsmitglied des VRS
Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.
- Initiative gegen die Rechtschreibreform
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg
Manfred.Riebe@raytec.de
http://www.vrs-ev.de
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