Die nicht harmlose Staatssprache Deutsch
Anatol Stefanowitsch ist Anglolinguist mit Spezialgebiet Corpus-(delicti?)-Forschung.– Der umtriebige Jungprofessor kanzelt auch schon mal Diskutanten ab, die die Untersuchung von Uwe Grund zur Rechtschreibreform für erwähnenswert halten. Jetzt aber sorgt er sich, daß zu viele meinen könnten, es gäbe Wichtigeres als seine Petition:
„Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz“
Die einfache Form dieses Arguments lautet
„Es gibt wichtigere Dinge, über die wir uns Sorgen machen sollten“. Das ist zwar richtig, es ist aber kein Grund, sich an der Petition nicht zu beteiligen.
Es gibt immer wichtigere Dinge — Atommüll, Bürgerversicherug, Castortransporte, Demographiewandel, Erdbeben, Finanzkrise, Generationenkonflikte, HIV, Irak, Jugendarbeitslosigkeit, Klimawandel, Länderfinanzausgleich, Militärdiktaturen, Netzneutralität, Oderhochwasser, Privatinsolvenzen, Quacksalberei, Rohstoffmangel, Sozialreformen, Tibetkonflikt, Umweltverschmutzung, Verteilungskriege, Whistleblowerschutz, Xenophobie, Yuppisierung und Zeitarbeitstarife.
migazin.de 24.2.2011
Das kommt uns bekannt vor. Im Vorlauf des Volksentscheids in Schleswig-Holstein wollten etliche seiner Zunftgenossen wie auch die Politiker und Bildungsfunktionäre mit dem Schlagwort „Es gibt Wichtigeres!“ den Widerstand gegen die Rechtschreibreform schwächen und die Bürger von Unterschrift und Stimmabgabe abhalten.
Nun auf einmal ist das Wichtigere plötzlich doch nicht mehr so wichtig, als daß man nicht die Leute gegen das gemeingefährliche Deutsch im Grundgesetz mobilisieren müßte.
Vor Jahren begann ein katholischer Pater eine Morgenandacht im NDR so: „Es gibt Leute, die sagen, Gott und der Glaube an ihn seien Privatsache. Das ist nicht richtig: „Gott“ steht im Grundgesetz und auch in der nordrhein-westfälischen Verfassung, und geht daher jeden etwas an.“
Das überzeugt mich heute, daß manches im Grundgesetz wirksam ist, auch wenn man nicht daran glaubt (frei nach Bohr). Die Stefanowitschsche Panikmache ist ohnehin übertrieben. Fremdwörter in Deutschaufsätzen wird man gewiß nicht wieder als Fehler anstreichen, wie 1925 zur Schulzeit meiner Mutter, aber dennoch hoffentlich die Vermeidung wichtigtuerischer Mode-Anglizismen empfehlen.
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