Deutschlandfunk
Die kleine Hexe und die Negerlein
Kinderbuchklassiker im Visier der Sprachpolizei
Von Burkard Müller-Ullrich, freier Journalist
Es gibt eine sich immer weiter ausbreitende Sprachpest der Political Correctness, die sich in selbstgerechten Abmahnwellen äußert, weil es nichts Schöneres gibt, als anderen über den Mund zu fahren und diesen zu verbieten.[…]
Die Säuberungskampagne, die derzeit etliche Kinderbücher erfasst, gehört eindeutig zu den üblen Beispielen von gedankenlosem Aktionismus, der sich im falschen Glanz seiner bigotten Moralität spreizt.…
Tatsächlich hat die Bezeichnung Neger einen ähnlich raschen und radikalen Bedeutungswandel durchgemacht wie Salisbury, das zu Harare wurde, Chemnitz zu Karl-Marx-Stadt (und wieder zurück), Eskimos zu Inuit und Sekretärinnen zu Sachbearbeiter-Schrägstrich-innen. … Die Innen-Welle, die sich inzwischen über fast jedes männliche Substantiv ergossen hat, schwappte in den achtziger Jahren aus der feministischen Sprachwissenschaft in eine nach neuen Redeweisen süchtige Publizistik.
Doch die damit einhergehenden Bedeutungsverschiebungen unseres aktuellen Vokabulars wirken nicht nur in die Zukunft. Nach den Vorgaben der Political Correctness werden sie auch auf historische Texte angewandt. Selbst die Bibel ist vor dem Furor der linguistischen Reinigungsbrigaden nicht gefeit und wird jetzt in gerechter Sprache angeboten.
Dagegen ist die Entnegerung einiger Kinderbücher fast harmlos. Sie ist ja vor allem eine kommerzielle Operation, mit der ein datiertes Stück Literatur in eine künstliche Zeitlosigkeit versetzt werden soll als ob man nicht auch Kindern ein Geschichtsgefühl vermitteln könnte, das den einfachen Zusammenhang: 'Früher sagte man Neger, aber heute besser nicht' umfasst.
Geschichte hat schließlich auch etwas mit Treue zu sich selbst zu tun. Das verbale Verschwindenlassen von Geschichte ist nichts anderes als Fälschung und Lüge.
Nun wird die angebliche Harmlosigkeit des Unterfangens gern mit dem Argument begründet, die Negerlein in der Kleinen Hexe und der Negerkönig in Pippi Langstrumpf seien doch für die Handlung gar nicht wichtig.
Hinter dieser entspannten Mitteilung steckt wahres Kulturbanausentum. Denn wenn dieses Kriterium gilt, dann sind dem Modernisierungswillen der Geschmackslinienrichter keine Grenzen gesetzt: Dann findet man sicher auch auf Gemälden Elemente, die für das Gesamtgefüge nicht wichtig sind, und aus allen Kunstwerken können Anstößigkeiten jeder Art wohlmeinend-pädagogisch eliminiert werden: die Rollenklischees in Minna von Barnhelm, der Antisemitismus im Kaufmann von Venedig und der Rassismus im Othello.
Die französische Nationalbibliothek ging vor ein paar Jahren schon so weit, auf einem Ausstellungsplakat die Zigarette des Philosophen Sartre wegzuretouchieren, weil öffentliches Rauchen verpönt ist.
dradio.de 13.1.2013
Wenn er darf, schreibt Burkard Müller-Ullrich in der bewährten Kulturrechtschreibung – wie hier in der „Achse des Guten“:
Schon bei den Römern gab es ein Sprichwort, das da lautet: Wenngleich die Kräfte fehlen, so ist doch der Wille zu loben. Das heißt, alles, was tatsächlich geschieht, muß vor dem Hintergrund des eigentlich Beabsichtigten gewürdigt und bewertet werden. Und zwar im Guten wie im Bösen.
achgut.com 14.11.2012
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