Aus einem Artikel des früheren UN-Mitarbeiters Toni Stadler in der NZZ
Rassismus und politische Korrektheit
Die Ablehnung von Andersheit ist nicht einfach ein Charakterfehler schlecht erzogener Rechtswähler. Sprechverbote allein sind da wenig hilfreich.
... Mein erster Chef beim UNDP war Koreaner, der zweite Japaner, der dritte ein afrikakritischer Togolese. Die 1986 in New York noch üblichen Sprüche über anderes Aussehen oder Akzente galten im Uno-Gebäude als unfein. Das «schwarze Schaf» und jede Redensart, die als verletzend hätte empfunden werden können, wurden mit missbilligenden Blicken sanft ausgerottet.
Und statt zu sagen, in islamischen Schulen werde dem Glauben mehr Zeit eingeräumt als dem kritischen Denken, schwieg man.
Das konfliktscheue Reden im gemischten Management war ein Fortschritt mit Nebenwirkungen: Es führte dazu, dass weisse und japanische Vorgesetzte aus Angst vor der Rassismus- oder Kolonialismuskeule es nur in Extremfällen wagten, den Kollegen des Afrikabüros oder der Nahostabteilung professionelle Mängel vorzuwerfen. Es half nichts, zu wissen, dass die meisten arabischen Länder viel länger durch das Osmanische Reich kolonisiert waren, welches den Handel mit schwarzen Sklaven so intensiv und so brutal betrieb wie der Westen. Unsere Kollegen, die an Ivy-League-Universitäten ausgebildeten Söhne und Töchter afrikanischer Chefs und arabischer Scheichs, sahen sich noch vierzig Jahre nach der Unabhängigkeit als Opfer, mit uns als Tätern.
Als ich im Entwicklungskomitee (DAC) der OECD zu arbeiten begann, hatte das konfliktscheue Reden die Entwicklungsdebatte erreicht. Sich im DAC des Neokolonialismus oder des Rassismus verdächtig zu machen, war karriereschädigend. Oft näherte sich das konfliktscheue Reden dem Surrealen. Jeder der dreissig Delegierten kannte die Probleme armer Länder, pardon, «Partnerländer», unterfinanzierte Schulen, Vernachlässigung der Mint-Fächer, unqualifizierte Minister, Clanwirtschaft, fehlender Rechtsstaat, Korruption, doch Regierungen direkt zu kritisieren, glich einer diplomatischen Todsünde...
Statt konkret zu sagen, was an der Governance in Burkina Faso mangelhaft sei, hiess es, es gebe dort «Raum für Verbesserungen». Statt zu sagen, Auslandhilfe habe wegen der gleichzeitigen Bevölkerungszunahme in der Sahelzone nichts erreicht, hiess es, «die Demografie und das Kulturelle dort bleiben eine Herausforderung». Statt zu sagen, der Mangel an Fortschritt in vielen Teilen Afrikas sei auch die Folge einer konzeptlosen Kindererziehung, die Selbstverantwortung und Leistungswillen kleinschreibt, hiess es, die Geber müssten eben die Bildungsbudgets besser finanzieren. Und statt zu sagen, in islamischen Schulen werde dem Glauben mehr Zeit eingeräumt als dem kritischen Denken, schwieg man. Probleme, die nicht benannt werden dürfen, bleiben ungelöst. Ein guter Teil des Misserfolgs der internationalen Zusammenarbeit in Afrika und in arabischen Ländern hat damit zu tun, dass weder die Vertreter der Weltbank noch die der Uno oder der Entwicklungsagenturen mit den Eliten Klartext sprechen.
Mit der politischen Korrektheit wurde das konfliktscheue Reden auch auf anderen Gebieten trendig. Dass dieses gestelzte Wort kurz nach der Wende die Welt eroberte, lag am Zeitgeist. Die Auflösung der Sowjetunion galt im Westen als Sieg des Liberalismus und der Marktwirtschaft. Im Vakuum, kreiert durch das «Ende der Geschichte», breitete sich im Englischen ein Reden nach Regeln aus, das niemanden auf der Welt ausschloss und alle einschloss, die sich modische T-Shirts und Mobiltelefone leisten konnten.
Politische Korrektheit als Ideologie
Politische Korrektheit wurde so zur Ideologie der Globalisierung. Vom Europa links der Mitte beflissen aufgenommen, dehnte sich die korrekte Sprechgewohnheit auf Gender, Alter, Rasse aus. Das Resultat nach fünfundzwanzig Jahren geschönter Wirklichkeit ist lamentabel...
Toni Stadler, Historiker und Buchautor, arbeitete 25 Jahre bei IKRK, Uno, OECD und EDA/Deza in Asien, dem Nahen Osten und Afrika.
nzz.ch 1.2.2018
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