Wenn Historiker*innen die Historie ihres Instituts entsorgen
El Cids anonymes Schlachtroß ergänzt den Pi-Bericht zur Umbenennung des Kieler Tirpitz-Hafens um weitere seltsame Vorkommnisse in der Landeshauptstadt: Babieca 21. April 2021 at 19:09
Nur zur Erinnerung, was parallel dazu gerade in Kiel am historischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität abläuft, seit dieses verkniffene Gesicht namens Gabriele Lingelbach …
Gabriele Lingelbach [Wikipedia]
… eine der drei „Mitdirektorinnen“ des historischen Seminars ist. Professor Werner Paravicini (und der ist nicht irgendwer!) hat in einem Leserbrief an die FAZ Alarm geschlagen:Wenn die Vergangenheit abgeschafft wird
In Ihrer Zeitung war des Öfteren davon die Rede, daß die Cancel-Culture nun auch Deutschland erreicht habe, oft verbunden mit einem recht aggressiven Feminismus. Hier ein weiteres, erbauliches Beispiel dieser Haltung. Der lange Flur im Kieler Historischen Seminar war bis vor kurzem mit einer „Ahnengalerie“ geschmückt, wie sie bei vielen Institutionen und Seminaren üblich ist, die ihre verstorbenen Professoren und künftig auch Professorinnen auf diese Weise in Erinnerung halten. Plötzlich, Anfang März 2021, sind diese schlichten Rahmen mit je vier Bildern und knappen Biographien verschwunden. Nur die Haken, an denen sie aufgehängt waren, ragen noch aus der Wand.
Der verwunderte Besucher erkundigt sich und erfährt, daß ein Beschluß des Seminardirektoriums zu diesen Schritt geführt hat: Das seien alles (alte, weiße) Männer, von denen sich die neuerdings drei Mitdirektorinnen nicht repräsentiert fühlten, ja es könne sogar der Eindruck entstehen, daß diese Männerblicke sie beobachteten. Deshalb sollten Emeriti auch nicht in der Festschrift schreiben, die zum 150ten Jubiläum des Seminars geplant war.
Man halte sich vor Augen, ein Historisches Seminar, berufen, den Umgang mit der Vergangenheit zu lehren und zu erforschen, entsorgt sie und pfeift auf jede Tradition. Ein Hinweis auf das Kieler elektronische Gelehrtenverzeichnis kann die verlorene Gegenwart nicht ersetzen. Dazu tritt noch die Unterstellung, das seien ohnehin alles Nazis gewesen.
Große Namen waren da an der Wand vertreten: Friedrich Christoph Dahlmann, einer der Göttinger Sieben (wer die waren, konnte man hier erfahren); Georg Waitz, der Erneuerer der editorischen Mediävistik im 19. Jahrhundert; Gustav Droysen, dessen Historik immer noch zu den Grundtexten der Geschichtstheorie gehört. Heinrich von Treitschke war in der Tat ein Antisemit, konnte aber noch kein Nazi sein. Den überaus prominenten Zeithistoriker Karl-Dietrich Erdmann hat rigoroser Moralismus der Nähe zum Nationalsozialismus bezichtigt, die indes auf Fritz Rörig zutrifft und auch Karl Jordan nicht ganz abgesprochen werden kann. Hartmut Boockmann, unbescholten, gehörte zur ersten Riege der deutschen Spätmittelalterhistoriker. Unsichtbar ist nun auch der Ägypter Subhi Labib, der Mittlere und Neuere Geschichte des Vorderen Orients lehrte, nie sichtbar war Ottokar Menzel, nach seiner von Karl Jordan betreuten Habilitation Privatdozent, der mit seiner Frau im Februar 1945 aus dem Leben schied, als er fürchten mußte, daß seine Beziehung zum Widerstand bekannt würde.
Da hätte man ergänzen können. Alles egal. Die Vergangenheit soll besser werden, und da dies nicht gelingen kann, wird sie abgeschafft, oder eben abgehängt – ausgerechnet von Historikern.
Professor Dr. Werner Paravicini, Kronshagen
*https://www.faz.net/aktuell/politik/briefe-an-die-herausgeber/briefe-an-die-herausgeber- vom-1-april-2021-17272699.html Seltsamerweise wird der Text hier mit bewährten „ß“ zitiert, während er in der FAZ reformkonform erschien. Was originaler ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
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