„Reform“: Man weiß nie, woran man ist
Zum 250. von Johann Peter Hebel
Retter eines krisengeplagten Printmediums: Am 10. Mai vor 250 Jahren wurde in Basel der Dichter Johann Peter Hebel geboren. …
Neben einem Rezept Blaue Dinte zu machen finden sich Meisterleistungen wie das berühmte Kannitverstan. … Dann aber erblickt er einen Leichenzug und erhält ein weiteres Mal dieselbe Antwort. Und, so schließt der Erzähler, wenn es ihm wieder einmal schwer fallen wollte, dass so viele Leute in der Welt so reich seien, und er so arm. So dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches Schiff, und an sein enges Grab. …
Anders das Stück Unverhofftes Wiedersehen. … Seine alt gewordene Verlobte erlebt ein makabres Wiedersehen mit ihrem von Eisenvitriol jugendfrisch konservierten Geliebten. Schlafe nun wohl, sagt sie bei dessen Begräbnis, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitsbett, und laß dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig zu tun, und komme bald, und bald wird's wieder Tag.
http://www.spiegel.de 10.5.2010
Ein Original oder Facsimile des „Hausfreundes“ liegt mir leider nicht vor. Dennoch sind die beiden Zitate fragwürdig – das erste „neu“, das zweite alt. Sieht man unter Projekt Gutenberg- Spiegel nach, so findet man gleich zwei Versionen, eine ß-los, die zweite „reformiert“. Am nächsten kommt dem Original wohl eine andere Quelle:
http://www.hausen-im-wiesental.de/jphebel/
Dort findet man die nicht normierte ß-Schreibung um 1800, dazu einige altertümliche Wendungen, die man heutigen Lesern lieber vorenthält, z.B. „entbrechen“ statt „enthalten“, „Exküse“ statt „Entschuldigung“ – und (natürlich) „acht gab“ statt „Acht gab“, „vor kurzem“ statt „vor Kurzem“, „schwerfallen“ statt „schwer fallen“, „zum zweitenmal“ statt „zum zweiten MaL“ Das völlige Fehlen der alten th-Schreibung macht allerdings auch hier nachdenklich:
1) … und, wenn es ihm wieder einmal schwerfallen wollte, daß so viele Leute in der Welt so reich seien, und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches Schiff, und an sein enges Grab.
2) Schlaf nun wohl, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht lang werden. Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald, und bald wird's wieder Tag. Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweitenmal auch nicht behalten, sagte sie, als sie fortging, und noch einmal umschaute.
Die Forderung nach unverfälschten Texten mag kleinlich klingen. Ich aber weiß aus meiner Beschäftigung mit alten Musikhandschriften, daß nur den Originalen oder guten Facsimiles zu trauen ist und daß schon kleine Unachtsamkeiten, auch von anerkannten Musikwissenschaftlern, den Sinn verändern können – wenn z.B. ein kleiner Punkt, der eine Verzierung bedeutet, als Fliegenschiß weggelassen wird.
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