Kleine Zeitung:
Deutsch im Abverkauf
Hilferuf für die deutsche Sprache: Geschändet, mit wackeligem Pseudo-Englisch drangsaliert und recht chancenlos gegen whatsappen. Was uns dabei auffallen muss und was Deutsch noch bzw. wieder wert sein sollte. Von Thomas Golser.
Wer heute einen Chocolate Chip Light Frappuccino mit Low-Fat Milk selbstverständlich to go ordert, steht am Schalter. Am Abverkaufs-Schalter. Heute im Sonderangebot: Deutsch. Was eine der buntesten, anmutigsten und dabei doch präzisesten Sprache überhaupt mit sich anstellen lassen musste und muss, darf durchaus zum Nachdenken anregen. Einmal mit alles in die verkehrte Richtung, sozusagen. Wie kam es so weit, zu dieser Starbuckisierung der deutschen Sprache und ähnlichen Verfallserscheinungen?
Vom billigen Tausch
Andreas Hock ortet in seinem neuen Buch "Bin ich denn der Einzigste hier, wo Deutsch kann? Über den Niedergang unserer Sprache" auf 185 Seiten die munter voranschreitende Agonie unserer Muttersprache. RTL-Sprache macht die Runde und geizig-geile Produkt-Platzierungs-Jingles werden zu geflügelten Wörtern: Warum wundern wir uns nicht, wenn uns die Werbung von 'Care Companies', 'Createurs d'Automobiles' oder 'Sense & Simplicity' erzählt?, wird eine durchaus berechtigte Frage in den Raum gestellt. Nach dem Motto: Darf es noch ein wenig billiger sein Deutsch, ein linguistisches Auslaufmodell? Ein gewisser Johann Wolfgang von Goethe meinte dazu: Die Muttersprache zugleich reinigen und bereichern, das ist das Geschäft der besten Köpfe. Man muss aber nicht unbedingt wie Hock ausgiebig die Weimarer Klassiker bemühen (Es war einmal eine Sprache, die vor lauter Poesie und Wohlklang die Menschen zu Tränen rührte). In einem eigenen Kapitel widmet der Autor sich jenen ausrangierten Wörtern, die heute nicht mehr gebraucht werden: feilbieten, grimmig, honorig, lustwandeln, Prahlhans, scharwenzeln, Schmaus, Scherflein, vermaledeien, wacker, wohlfeil allesamt Fälle für die sprachwissenschaftliche Schutthalde. Schade um sie. Die Literatur-Einrichtung namens Hellmuth Karasek* meint im Vorwort des Buches: Hock gibt seiner rasanten Geschichte der serpentinenhaften und kurvenreichen Entwicklung der deutschen Sprache den Titel, der auf dem Titelbild über dem verzweifelt die Augen verdrehenden Geheimrat Goethe als Wortblase schwebt: 'Bin ich denn der Einzigste hier, wo Deutsch kann?', womit er nicht nur die dem Süddeutschen falsch entlehnte Konjunktion 'wo' bemüht, sondern auch die moderne und falsche Superlativitis 'der Einzigste'".
Dass Wort- und Sprachschatz heute von einer gierigen Korrosion befallen sind, ist die eine Sache. Der schlampige bis achtlose Umgang hat allerdings längst auch den Satzbau erreicht: Nebensätze kommen nur noch selten zum Einsatz und falls doch, dann falsch. Wenn dazu in der Word-Rechtschreibprüfung die rote Welle anrollt, liegt wohl etwas im Argen, vor allem, aber (beileibe) nicht nur in der Generation Kevin. Hock bietet dafür auf mitunter recht plakative Weise verschiedene, sehr amüsante Erklärungsansätze an: Weil der Kevinismus um sich griff. Weil die Politik das Gender-Mainstreaming beschloss". Weil der 'Coffee to go' nach Deutschland kam. Weil die E-Mail vom Segen zum Fluch wurde. Weil RTL2 auf Sendung ging. Weil wir die SMS entdeckten. Weil der Schlussverkauf zum Sale wurde. Weil Bushido und Kollegas Erfolg hatten. "Weil die Rechtschreib-Reform in die Hose ging". Das Buch richtet sich an deutschsprachige Menschen, in Österreich ist zudem seit einiger Zeit eine gewisse Unterwürfigkeit vor dem norddeutschen Idiom festzustellen: Was z.B. früher flaumig war, ist heute fluffig.
Problemfeld Denglisch
Allgemein gibt es eine gewisse Grund-Geilheit, Anglizismen betreffend: Wenn Vokabel wie whatsappen (sprich: wozz-äppn) ihr Stamm-Leiberl im Wortschatz erobert haben, ist Kulturkritik nicht nur zulässig, sondern angeraten, so die Botschaft. Dass für jeden neuen Ausdruck (oft genug sind es ja Bastarde aus Rest-Deutsch und Pseudo-Englisch) drei andere, tatsächlich einst der deutschen Sprache entspringende Begriffe verloren_gehen, ist am Ende ein recht riskanter Tausch. Heute tut man talken, voten, smsen, posten, screenshotten oder gendern: echt abgespaced! Wahr und gut und schön ist, dass Sprache auch Raum zur Weiterentwicklung haben darf, lebendig, im gesunden Fluss bleibt. Trotzdem wurde die deutsche Sprache nach außen hin viel durchlässiger als dies z.B. umgekehrt im Englischen der Fall ist (außer den Wörtern Zeitgeist, Kindergarten oder Rucksack wird man dort im Alltag eher wenige Germanismen finden). Es hat ja alles seinen Preis auf dieser Welt, doch hier scheint er nicht sonderlich hoch angesetzt.
Nicht übersehen werden darf: Im vergangenen Jahr gehörten laut Lese-Test jeweils rund ein Fünftel der Zehn- bzw. 14-Jährigen in Österreich zur Gruppe der Risikoschüler und somit schwächsten Leser. Folglich hat sich eine Fehlentwicklung längst auch im Schriftlichen bzw. in der Fähigkeit, Texte zu erfassen niedergeschlagen. Sprache ist gemeinsame Identität. Sprache ist in Wörter gekleidetes Leben. Sprache gibt Gedanken und Gefühlen ihren Ausdruck und ihr Gesicht. Sprache ist das nächste Bindeglied.
Sprache ist Lust und macht Lust. Und all das gibt es dann eben doch nicht to go.
THOMAS GOLSER
kleinezeitung.at 5.8.2014
Das Buch selbst ist (erwartungsgemäß) im reformierten Dass-Deutsch der politischen Kulturbanausen gedruckt, das für die Entfremdung und Ausgrenzung bis Vernichtung des überkommenen Literaturgutes sorgt.
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