Zur Erinnerung ...
Christian Melsa schrieb im Forum der Maerkischen Allgemeinen am 9.6.2002:
Ein Gleichnis
Ein Gleichnis. Uneingeladen besucht mich ein Unbekannter zu Hause. Ich öffne die Tür, er stürmt an mir vorbei ins Innere und pflanzt sich auf meine Wohnzimmercouch. Er wirkt nicht besonders gepflegt, sagt aber, er sei hier, um mir beim Saubermachen zu helfen. Hm. Suspekt. Während er beim Fernsehen meine Kekse verschlingt, verstreut er aber nur Krümel und qualmt mir die Bude voll. Offenbar wird es also doch eher schmutziger als sauberer. Ich zeige durch die Rauchschwaden auf die Krümel, doch er weigert sich, deren Existenz zuzugeben. Ich bitte ihn, wieder zu gehen, ich käme auch ohne ihn zurecht, aber er meint, nein, jetzt sei er ja hier und daher müsse er nun auch hier bleiben. Er scheint ein bißchen verrückt zu sein, denn mit vollem Ernst will er mir weismachen, es sei doch sowieso gar nicht möglich, durch die Haustür wieder hinauszugehen. Reinkommen konnte er durch die Tür aber doch, wieso soll er nicht wieder rausgehen können? Die Antwort bleibt er mir schuldig. Anscheinend will er hier nun wohnen bleiben. Mein Protest wird schärfer und ich greife zu fundierteren Erklärungen, um ihm begreiflich zu machen, daß er kein Recht hat, hierzubleiben und sein Versprechen, für Sauberkeit zu sorgen, nicht einmal ansatzweise eingelöst hat. Er meint dazu nur, ich hätte doch aus dem Fenster schauen und ihn kommen sehen können, dann hätte ich die Tür ja nicht zu öffnen brauchen, wenn ich ihn nicht hier haben möchte. Sehr witzig. Nun, daß dieser eine Kerl ankam, ist ja schon ärgerlich genug. Aber immerhin kann ich mich noch in andere Zimmer vor ihm verkriechen, und ich überlege schon, ob ich mit dem einen Typen nicht fertigwerden müßte, ihn einfach hinauszuwerfen. Eines Tages stelle ich fest, daß plötzlich lauter andere Gäste in meinem Haus sind. Dieser Kerl muß sie reingelassen haben. Die Neuankömmlinge haben ähnlich schlechte Manieren wie er, sie scheinen gewillt zu sein, fast alles nachzuahmen, was er tut. Aber was noch viel schlimmer ist: Es gibt kaum noch eine Möglichkeit, vor diesen Spinnern zu flüchten, denn sie laufen und lärmen überall im Haus herum und machen alles schmutzig; die Sicht ist schon stark erschwert, wo sie ihren Rauch verbreiten. Na ja, die nun alle rauszuwerfen wäre nun doch nicht mehr so einfach, zumal zwischendurch vereinzelt immer noch mehr neue Gesichter eintreffen, denen man so ein Verhalten gar nicht zutrauen würde. Ich gebe nicht auf, mit den Leuten zu reden, sie zu überzeugen, mein Haus wieder zu verlassen, aber die denken gar nicht daran. Spricht man mit ihnen unter vier Augen, dann geben sie zwar zu, daß sie eigentlich gar nicht hier sein wollen und ihnen das auch alles ein wenig peinlich ist, aber dieser Kerl hätte sie nun einmal eingeladen und wo sie nun einmal hier seien, könnten sie unmöglich wieder gehen. Aha, anscheinend scheinen sie diesen Unsinn wirklich zu glauben. Obwohl das kaum vorstellbar ist, so dumm wirken die meisten von ihnen nun auch wieder nicht. Doch nach einiger Zeit kommt einer von den Typen, der ohnehin sonst einen vergleichsweise ernsten Eindruck macht, zur Einsicht und beschließt, zu gehen und mich in Ruhe zu lassen. Er redet sogar mit den anderen, versucht ihnen die Fehlerhaftigkeit ihres Tuns zu erklären. Dann geht er tatsächlich draußen wird er von einer jubelnden Menge empfangen und als Held gefeiert , obgleich es ihm nicht gelungen ist, die anderen zur Vernunft zu bringen. Obwohl alle gesehen haben, daß er durch die Haustür hinaustrat, behaupten sie irrsinnigerweise immer noch steif und fest, das sei ganz unmöglich (dabei machen sie den Eindruck, eigentlich auch abhauen zu wollen warum sollten sie nicht ebenso freudig empfangen werden wollen wie der andere?). Kurz darauf stellt sich heraus, daß einer der Anwesenden der Bruder des Einsichtigen ist. Ich rede mit ihm. Ob er denn nicht zu seinem Bruder gehen möchte, ihm müßte er doch vertrauen können. Er gibt auch zu, daß er eigentlich genauso denkt wie dieser, aber dann tischt er mir wieder diese merkwürdige Geschichte auf, er könne nicht durch die Haustür treten. Nicht zu fassen. Er hat doch mit eigenen Augen gesehen, wie sein Bruder das Haus verlassen hat! Wenn er ihm folgen würde, dann würden es vielleicht auch die anderen ungebetenen Gäste wagen, die Schwelle zu überschreiten. Sie wissen anscheinend ganz genau, daß sie mir auf die Nerven gehen und daß man das nicht soll. Meine Güte, ist mein Haus mittlerweile dreckig. Ein bißchen schmutzig war's ja schon immer, aber das hat man praktisch nie gemerkt. Jetzt hingegen beginnt es wirklich unhygienisch zu werden. Man muß ja zugeben, daß der Typ, mit dem alles anfing, ein paar seiner Flecken schon beseitigt hat, obwohl er das komischerweise vehement abstreitet. Also er streitet nicht etwa ab, daß er etwas gesäubert hätte, o nein, er behauptet ja ganz im Gegenteil, die ganze Zeit nichts anderes zu tun. Vielmehr streitet er ab, daß die Flecken, die er da beseitigt hat, überhaupt von ihm waren. Aber mit derselben Sturheit weigert er sich, auch den anderen Dreck zu beseitigen und mein Haus wieder zu verlassen. Na ja, daß der irgendwie geistig verwirrt ist, hatte ich ja von Anfang an geahnt. Warum lassen sich die anderen ausgerechnet von diesem Wirrkopf herumkommandieren? Warum hören sie eigentlich nicht auf mich, dem das Haus schließlich doch gehört? Was denken die sich eigentlich? In der letzten Zeit rede ich oft mit diesem Bruder des gefeierten Heldens. Er könnte auch ein gefeierter Held sein, aber irgendwie scheint er in einer Art magischen Bann des Wirrkopfs zu stehen. Wie hypnotisiert oder so. Aber sein Bruder konnte sich davon ja auch freimachen. Ich gebe die Hoffnung also noch nicht auf. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die anderen auch alle wagen, dem Wirrkopf die Gefolgschaft zu verweigern, wenn sie sehen, daß es ungestraft geht. Und wenn die alle weg sind, dann wird der Auslöser auch nicht mehr lange bei mir bleiben wollen beziehungsweise können, ohne seine Leute. Ja, wenn das soweit ist, dann wird es auch irgendwann wieder einigermaßen sauber sein bei mir zu Hause, und dann, dann kann ich endlich wieder durchatmen (so wie die ehemaligen Bannopfer auch)!
Verrückte Geschichte, nicht wahr? Ob etwas Ähnliches wohl in Wirklichkeit passieren könnte?
Und Wolfgang Wrase antwortete darauf :
Re: Ein Gleichnis
Vielen Dank, Herr Melsa, für dieses wunderbare Gleichnis. Genauso ist es! Eine unüberbietbare Verrücktheit, eine Unverschämtheit und eine Sauerei ohne Beispiel. Sie haben das Verhalten derjenigen, die uns die Rechtschreibreform aufnötigen oder befolgen zu müssen behaupten, sehr treffend auf den Punkt gebracht. Ich möchte einige wichtige Vorgänge in die Wirklichkeit zurückübersetzen:
Die Reformer zwingen der Allgemeinheit ihre Reform auf, obwohl wir das gar nicht wollen. Sie mischen sich in unverschämter Weise in unser Leben ein. Sie behaupten, bei uns für Ordnung sorgen zu müssen, auch wenn wir das gar nicht wollen. Trotzdem zwängen sie sich herein und legen los. Sie sorgen aber nicht für Ordnung, sondern für Unordnung. Sie lassen sich durch unsere Proteste nicht von ihrem unverschämten Verhalten abbringen. Sie behaupten sogar, wir hätten schon protestieren müssen, als wir noch gar nicht ahnen konnten, was sie vorhaben; nun sei es zu spät. Es ist offensichtlich, daß sie eine gewaltige Unordnung anrichten, aber sie behaupten steif und fest, dieser neue Zustand sei viel besser als der etablierte bisherige Zustand. Sie behaupten, es sei nicht nur möglich, sondern notwendig gewesen, die bisherige Rechtschreibung abzuschaffen; es sei aber unmöglich, ihre eigene Rechtschreibung abzuschaffen. Dasselbe behaupten auch diejenigen, die sich der Reform anschließen, obwohl sie das gar nicht müssen und auch nicht wollen. Die Reformer behaupten, es dürfe keinesfalls an ihrer Rechtschreibung geändert werden, aber sie ändern selbst tatkräftig und permament daran herum und verleugnen es. Ihr Gefolge die Presse ändert noch viel mehr an der angeblich zu befolgenden neuen Rechtschreibung herum, gibt das auch zu und behauptet dennoch zugleich, sie hätte keine andere Wahl, als der Neuregelung im Interesse der Einheitlichkeit zu folgen. Und so weiter das Ganze ist eine unüberbietbare Absurdität.
Sehr spannend ist nun in dem Gleichnis die Frage, warum sich der kleine Bruder nicht dem großen Bruder anschließt, obwohl der mit großer Freude von der Öffentlichkeit gefeiert wurde. Warum folgt die MAZ nicht dem guten Beispiel der FAZ? Nun, es gilt leider festzustellen, daß der MAZ jedenfalls die Mehrheit der Bürger vergleichsweise egal ist. Ihr ist die Gefolgschaft, der Gehorsam gegenüber der unverschämten Bande der Reformer einfach wichtiger als der mehrheitliche Wunsch der Bürger und die dringenden Empfehlungen der Wissenschaftler und der Schriftsteller.
Man muß leider zur Kenntnis nehmen, daß die MAZ sich lieber an etwas Falschem, Schlechtem beteiligt, als in dieser Frage die Demokratie zu respektieren. Die MAZ achtet die Menschen nicht, weil sie zuerst schielt, was die meisten anderen Zeitungen machen. Wenn diese den Blödsinn befolgen und die Demokratie mißachten, dann schlägt sie sich lieber auf dieselbe Seite und beteiligt sich an deren feigen Ausreden. Bisher hat noch jede Umfrage eine absolute Mehrheit derjenigen festgestellt, die die Reform nicht haben wollen. Die Befürworter machen laut Allensbach seit Jahren unverändert gerade einmal 10 Prozent der Bürger aus.
Schade, daß ein paar arrogante, rücksichtslose Spinner der MAZ so viel mehr wert sind als Demokratie und alle vernünftigen Argumente. Es könnte daran liegen, daß die Zeitungen so viele Lügen über die Reform verbreitet haben, vor allem die Lüge tausendfach gepflegt , man habe keine andere Möglichkeit, als die Reform mitzumachen. Zwar hat keineswegs als einzige Zeitung die FAZ bewiesen, daß das eine Lüge ist. Denn: Wenn man durch eine Tür in einen Raum gekommen ist, in dem gewaltsam Zerstörerisches angerichtet wird, dann kann man auch wieder durch dieselbe Tür hinausgehen. Sehr richtig. Die MAZ tut immer noch so, als sei das nicht möglich. Dabei würde womöglich schon die Umkehr von einer oder zwei ernstzunehmenden Zeitungen genügen, den ganzen Murks innerhalb kurzer Zeit zum Einsturz zu bringen und uns allen einen jahrzehntelangen Umweg voller Mühe und Ärger zu ersparen.
__________________
Christoph Kukulies
|