Gabriele Behler
Der Name Gabriele Behler weckt bei vielen Schleswig-Holsteinern unangenehme Erinnerungen – vor allem daran, mit welcher Arroganz sie als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz von 1998 ankündigte, einen Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform zu mißachten. Dabei verstieg sie sich sogar zu der Behauptung, die „Reform“ sei ein Ergebnis von Wissenschaft, und über wissenschaftliche Erkenntnisse könne es keine Volksabstimmungen geben.
Acht Jahre später mußten die Kultusminister große Teile dieser „Wissenschaft“ wieder zurückziehen, während sie mit dem übrigen Unfug weiterhin die Schüler mißbrauchten, um die Reform aufrechtzuerhalten.
Jetzt nahm Frau Behler einen Mißbrauch anderer Art zum Anlaß, in der „Zeit“ gegen reformpädagogische Konzepte zu Felde ziehen, die sie dafür verantwortlich machte.
Ihr antwortete im „Spiegel“ der Tübinger Pädagoge Ulrich Herrmann:
Worum geht es in diesem Artikel, der in der Tonlage einem verbalen Amoklauf gleichkommt?
spiegel.de 25.9.2010
Läßt man in Behlers Artikel „Lehrer müssen nicht geliebt werden“ nur das Allgemeingültige stehen und sieht von dem speziellen Anlaß ab, so kommt eine Kritik der vergangenen Reformiererei heraus, die gerade ihr obsessives Eintreten für die Rechtschreibreform vernichtend bloßstellt. Die Entstehung und Durchsetzung dieses Jahrhundertunfugs, bei dem Frau Behler eifernd mitwirkte, könnten fast wörtlich genau so beschrieben werden:
Die Reformpädagogik hat versagt. Sie kann nicht einfach so weitermachen wie bisher.
VON: Gabriele Behler
… Mit manchmal liebenswerter und manchmal erschreckender Verve und mit großem Idealismus auf den großen Kongressen seit den sechziger Jahren vorgetragen, entwickelte das Programm große Verführungskraft.
Einfach schrecklich wurde es, wenn die getreuen Adepten der verschiedenen reformpädagogischen Richtungen – und davon gab und gibt es viele – die Alltagstauglichkeit solcher Theorien unter Beweis zu stellen meinten, voller Selbstgerechtigkeit, mit großem missionarischem Eifer, der aus pädagogischen Prinzipien Heilslehren machte und dabei geprägt war von einem Zerrbild der Regelschulen.
Antistaatliche Affekte wurden mobilisiert gegen die »verwaltete Schule«, eine Schulaufsicht wurde per se als unpädagogisch wahrgenommen, Gleiches galt für fachliches Lernen, Lehrer an Regelschulen waren empathielose Vollstrecker unmenschlicher Fachvorgaben und Handlanger staatlicher Repression. Regelhaftigkeit und Grenzziehungen wurden als Ausfluss autoritärer Gesinnung diskreditiert. Und weil es um Kinder und Jugendliche ging, musste Wärme, Zuwendung und Liebe im Vordergrund stehen und nicht kalte Sachorientierung.
Mythen werden mit dem Nimbus von Wissenschaftlichkeit verkleidet
… Ausgeblendet wurde mit schöner Regelmäßigkeit das, was nicht in die pädagogische Heilslehre passte:
…
Wenn man sich den bildungspolitischen Diskurs der letzten Jahrzehnte anschaut, dann war das Netzwerk (in der Politik heißt das Filz) der Reformpädagogik hocherfolgreich …
Große Fragmente der Reformpädagogik sickerten in den Alltag der Lehrerbildung, in Richtlinien, Lehrpläne, politische Programme und Schulversuche aller politischen Richtungen ein. Die Schulaufsicht reagierte zunehmend unsicher, zumal die Reformpädagogen ihre Praxis als politisch korrekte Antwort … reklamierten.
Dabei wurden Mythen mit dem Nimbus von Wissenschaftlichkeit verkleidet; jenseits der unterschiedlichen Strömungen aber wurden die zugrunde liegenden Lehren zur Norm, …
Auch ein Schulprojekt der auf der Reformwelle surfenden Bertelsmann Stiftung ist nicht einfach ein Schulprojekt mit Chancen und Risiken und einem zu überprüfenden Effekt. Kritiker werden gleich in Außenseiterpositionen gedrängt, Selbstzweifel werden ihnen auferlegt, eine Methode, mit der die Moderatoren sich selbst unangreifbar machen und Kritiker moralisch diskreditieren. Und wenn nach langen Jahren der Begleitforschung … Bilanz gezogen und festgestellt werden muss, dass weder die Leistungen der Schüler noch die Unterrichtsqualität besser geworden sind, dann konstatiert man im Fazit, dass es für eine endgültige Würdigung des Modellvorhabens »noch zu früh« ist.
…
Das Überwältigungsverbot als Kern verantwortungsvollen pädagogischen Handelns reicht weit über Päderastie hinaus. Überwältigung des Denkens, Fühlens und Handelns kann libertär oder autoritär verkleidet werden, beides ist nicht verantwortlich, nicht hinnehmbar. …
Unterricht ist als Kern der Schule zu akzeptieren, ihre erzieherische Funktion ist in ihren Grundannahmen offenzulegen und transparent zu halten, jeglicher Totalanspruch der Schule ist zurückzuweisen, sie ist kein Krake und darf es auch nicht sein wollen.
… Die Wissenschaftsorientierung pädagogischen Handelns war ein bedeutender Fortschritt des 20. Jahrhunderts. Sie verträgt sich nicht mit einer Verklärung und Überhöhung der eigenen Praxis – und schon gar nicht mit missionarischem Eifer.
…
Die Schule ist eine diesseitige Veranstaltung, sie muss diesseitig legitimiert, verantwortet und auch kontrolliert werden. Gläubige sollten sich ans Jenseits halten.
QUELLE: DIE ZEIT, 23.09.2010 Nr. 39
zeit.de
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