Liebes Tagebuch
„Spiegel Eines Tages“ setzt die Serie der orthographisch gefälschten Auszüge aus Tagebüchern junger Leute der 80er-Jahre fort. Eigentlich wäre zu erwarten, daß man die übliche Rechtschreibung als Zeitkolorit stehen läßt, zumal das Verfassungsgericht festgestellt hatte, daß Nachteile dadurch „nicht zu besorgen“ seien. Daß dem nicht gefolgt wird, zeigt die finstere Absicht. Man will, wie bei Orwells 1984, die bessere Vergangenheit vergessen machen:
Wenn er doch wüsste...: Die 16-jährige Marion schrieb 1988 in ihrem Tagebuch,...
In Folge zwei: ein Teenie-Schicksal aus den Achtzigern.
1. Januar 1988
Prost Neujahr. Fuck Neujahr.
Fängt ja schon saugut an. Tolle, deprimierende Party, und dann Eltern, die einen zusammenscheißen. Merken nicht, dass ich halb zu bin und legen jedes Wort auf die Goldwaage.
6. Januar 1988
Sandra hat mir heute die ganzen Platten gebracht (ca. 20). Ich habe sechseinhalb Stunden überspielt, und dabei drei Kassetten fertig gestellt: Eine Ärzte und 2 Bowie. Mords Arbeit!
[…]
16. Juni 1988
Heute sind wir mit dem Bock-Layout [Layout der Schülerzeitung] fertig geworden SUPER!! Uli war auch 3 Mal kurz da, um was zu kopieren. …
19. Juni 1988
Ich bin richtig aufgebaut, weil der Christian so hergeschaut hat. Das nächste Mal muss ich Tschüss zu ihm sagen.
Oh Christian, könnte ich nur mal mit dir reden! Heute war ich so nah dran. Die Kontaktlinsen verbessern wahnsinnig das Selbstbewusstsein, ist schon toll. … Ich muss mal wieder meinen Matrosenanzug anziehen, fällt mir gerade ein. Vielleicht morgen?
3. Juli 1988
Ohje, gestern Abend waren wir im K5, da kam Uli ... Vom Geistigen her ist er der absolute Arsch. Hasst Ökos, zertrampelt Naturschutzgebiete, ist anscheinend auch noch überzeugter Katholik (Kloster etc.) …
[usw.]
Ella Carina Werner / Nadine Wedel: Ich glaube, ich bin jetzt mit Nils zusammen: Das Beste aus wieder ausgegrabenen Jugend-Tagebüchern. Fischer Schwerz Verlag, März 2013.
einestages.spiegel.de 17.4.2013
Siehe auch hier
|