8. September 2018
Zum Tag der deutschen Sprache
Das Deutsche könnte bald verschwinden
Die Low-Budget-Airline hat den Flug gecancelt, den Latte macchiato gibt es to go und der Boss bittet zum Meeting: Durch die Globalisierung wächst die Welt zusammen, das Englische scheint langsam die Oberhand zu gewinnen. Und die deutsche Sprache? Bleibt auf der Strecke. Der Sprachwissenschaftler Wolfgang Klein erklärt im Gespräch mit n-tv.de zum Tag der deutschen Sprache, warum die Politik bei der Verbreitung von Sprachen eine so wichtige Rolle spielt, warum die deutsche Grammatik teilweise bizarr und warum das Deutsche tatsächlich in ernster Gefahr ist.
n-tv.de: Was ist Ihr deutsches Lieblingswort?
Wolfgang Klein: Da gäbe es viele Kandidaten. Ich staune immer über Wörter wie Axtstiel oder Knastkluft, die nur ein Deutscher aussprechen kann. Sehr poetisch finde ich, dass das Wort Ehe von einem germanischen Wort kommt, das ewig, auf Dauer bedeutet. Allerdings stimmt diese Etymologie wahrscheinlich nicht, und so ist es auch mit der Idee, dass die Ehe ewig währt.
Was ist im Vergleich zu anderen Sprachen das Besondere an der deutschen Sprache?
Der Wortreichtum. In allen Sprachen gibt es Wortbildungsmöglichkeiten, aber in keiner sind sie so reich ausgebildet wie im Deutschen. Das Grimmsche Wörterbuch beschreibt etwa 350.000 Wörter, aber wir haben vor einigen Jahren einmal ermittelt, wie viele verschiedene Wörter im Wortschatz der Gegenwartssprache vorkommen. Es sind mehr als fünf Millionen.
Aber macht das das Deutsche nicht auch so kompliziert?
Das liegt eher daran, dass das Deutsche unter uns gesagt eine so bizarre Grammatik hat, die daher auch für jeden Lerner ein Alptraum ist. Im Deutschen muss man sagen der Löffel, die Gabel, das Messer, im Englischen sagt man einfach nur the, um dasselbe auszudrücken. Oder ein anderes Beispiel: die Adjektivflexion. Im Deutschen sagt man ein roter Hut, der rote Hut, mit einem roten Hut, wegen eines roten Hutes, rote Hüte im Englischen sagt man einfach immer red. Das ist viel einfacher und zumindest in diesem Fall fährt man ohne Flexion viel besser.Wolfgang Klein ist Sprachwissenschaftler und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie für Wissenschaften. Die Forschungseinrichtung hat es sich zu Aufgabe gemacht, kulturelles Erbe zu sichern und zu erschließen.(Foto: Bert Beelen) Sie haben mal gesagt, dass die deutsche Sprache in 200 bis 300 Jahren ausgestorben sein wird. Wie kommen Sie zu dieser Annahme?
Auf der Erde gibt es derzeit 6000 bis 7000 Sprachen und sehr viele davon sind vom Aussterben bedroht. Man schätzt, dass im Schnitt alle 14 Tage eine Sprache verschwindet. Besonders bedrohte Sprachen haben vielleicht ein paar Hundert Sprecher, die sich untereinander verständigen können. Wenn diese Sprecher sterben oder aufgrund der Globalisierung zu einer Sprache mit mehr Sprechern und damit größerer Reichweite wechseln, stirbt die Sprache.
Und wie steht es nun um das Deutsche?
Das Deutsche hat 100 Millionen Muttersprachler. Dass es also in nächster Zeit aussterben wird, ist unwahrscheinlich. Doch auch für das Deutsche wird die Globalisierung zunehmend zum Problem, denn als internationale Sprache verliert es rapide an Bedeutung. Zum Vergleich: Chinesisch hat eine Milliarde Muttersprachler*, Tendenz steigend; Spanisch sprechen immerhin 400 Millionen, Hindi/Urdu etwa ebenso viele und auch dort steigt die Sprecherzahl. Nicht so beim Deutschen; ein großer Teil der Grundschulkinder hat einen Migrantenhintergrund und ihre Beherrschung des Deutschen bei Schulabschluss ist, vorsichtig gesagt, nicht immer vollkommen. Weltweit lernen auch immer weniger Menschen Deutsch als Zweitsprache und als Wissenschaftssprache ist es möglicherweise bald völlig bedeutungslos. Und dass in 300 Jahren noch nennenswert Deutsch gesprochen oder geschrieben wird darauf würde ich keine Wette eingehen.
Zumindest in Berlin ist auffällig, dass in manchen Cafés, Geschäften und Unternehmen ausschließlich Englisch gesprochen wird. Wie gefährlich ist dieses Phänomen für die deutsche Sprache?
Um das Phänomen zunächst einmal zu erklären: Die Globalisierung und die ständige Mischung der Kulturen erfordert eine gemeinsame Sprache, in der sich möglichst viele verständigen können. Für eine solche Gemeinsprache gibt es nur einige wenige Kandidaten, die infrage kommen. Zunächst Englisch, dann Chinesisch, Spanisch und auch das moderne Hocharabisch mit derzeit etwa 300 Millionen Sprechern. Im Fall des Englischen gibt es zwar nur etwa 370 Millionen Muttersprachler, aber mindestens eine Milliarde Menschen nutzen es regelmäßig als Zweitsprache. Es wird dort gesprochen, wo Sprecher mit verschiedenen Kulturen und Sprachen verkehren. Oder wo man glaubt, dass es so ist. In Deutschland ist Englisch oft auch ein bisschen zur Schickimicki-Sprache geworden. Aber ich glaube nicht, dass das Englische das Deutsche insgesamt bedroht. Sonst bräuchte man nicht so viele Tausend Romane aus dem Englischen zu übersetzen.
Warum haben wir Deutschen Englisch als Gemeinsprache auserkoren?
Das Englische ist grammatisch sehr viel einfacher als das Deutsche und es ist grammatisch wie lexikalisch dem Deutschen ähnlich. Daher für einen Deutschen nicht so schwierig zu lernen wie etwa Chinesisch. Man kann es schnell bis zu einem gewissen Grad lernen und so kann man sich sehr schnell verständigen. Der wichtigste Grund ist jedoch politischer Natur. Die starke Macht des britischen Kolonialreichs, gefolgt von seinen Nachfolgestaaten, hat die Grundlagen dafür gelegt, die USA sind, zumindest derzeit noch, die mächtigste Nation auf Erden, und diese Machtverhältnisse diktieren die Gemeinsprache. Und die muttersprachlichen Sprecher dieser Gemeinsprache sehen wenig Anlass, eine andere Sprache zu lernen. Ärgerlich, aber so ist es.
Was können wir Deutschsprecher tun, damit es die deutsche Sprache lange gibt?
Das kann man nur bedingt steuern. Was nicht schaden kann, ist ein gewisser Stolz auf die eigene Sprache. Man sollte sich eben nicht so schnell dazu verleiten lassen, Englisch zu sprechen. Und man sollte auch bei seinen Kindern darauf achten, dass sie ihre Sprache gut beherrschen und das heißt, nicht nur auf die Rechtschreibung zu achten, sondern auch darauf, dass sie sich gut ausdrücken können. Eine Sprache lebt dadurch, dass man sie spricht und schreibt.
Wie sieht die nahe Zukunft der deutschen Sprache aus? Sagen wir, so in 50 Jahren? Wird das Deutsche gespickt von englischen Wörtern sein?
Das hängt im Wesentlichen von politischen Entwicklungen ab. International gesehen ist Deutschland militärisch und politisch relativ unbedeutend und kulturell leider zunehmend auch. Das hat Auswirkungen auf den Gebrauch der Sprache. Strukturell gesehen glaube ich aber nicht, dass sich das Deutsche stark verändert. Ich glaube nicht, dass es sich zum Beispiel dem Englischen annähert. Seit Goethe hat es so gut wie keine strukturellen Veränderungen der deutschen Sprache gegeben. Deswegen kann man auch heute noch Texte von Goethe sehr, sehr gut lesen*). Und man sollte es auch.
Mit Wolfgang Klein sprach Kira Pieper
n-tv.de 8.9.2018
*) ... hat aber durch die Rechtschreib„reform“ für die kommenden Generationen einen befremdenden weiteren Abstand erzeugt, vor allem durch die häßlichen „neuen“ SS.
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