Feynmans Versuche, Japanisch zu lernen
Ich hatte hier schon früher aus dem Buch von Richard Feynman zitiert:
»Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman!«
Abenteuer eines neugierigen Physikers
Piper München Zürich 1987, 10. Aufl. 2000
ISBN 3-492-21347-2
(noch in bewährter, heysefreier Rechtschreibung)
Erheiternd ist auch seine Beschreibung der Versuche, Japanisch zu lernen (S. 313):
5. Teil: Die Welt des Physikers
Würden Sie die Diracsche Gleichung lösen?
Gegen Ende des Jahres, das ich in Brasilien verbrachte, erhielt ich einen Brief von Professor Wheeler, in dem er darauf hinwies, daß in Japan ein internationaler Kongreß für Theoretische Physik stattfinden werde, und anfragte, ob ich teilnehmen wolle. Vor dem Krieg hatte es in Japan einige berühmte Physiker gegeben – Professor Yukawa, ein Nobelpreisträger, Tomonaga und Nishina –, doch dies war das erste Zeichen für eine Wiederbelebung Japans nach dem Krieg, und wir waren alle der Meinung, daß wir hingehen und ihnen behilflich sein sollten.
Wheeler hatte einen Armee-Sprachführer mitgeschickt und schrieb, es wäre schön, wenn wir alle ein bißchen Japanisch lernen würden. Ich fand in Brasilien eine Japanerin, die mir bei der Aussprache half, übte mit Stäbchen, Papierschnitzel aufzuheben, und las eine Menge über Japan. Japan war damals sehr geheimnisvoll für mich, und ich dachte, es müsse interessant sein, in ein so fremdartiges und wunderbares Land zu reisen, und gab mir deshalb große Mühe...
Es stellte sich heraus, daß ich der einzige war, der ein bißchen Japanisch gelernt hatte – nicht einmal Wheeler, der alle aufgefordert hatte, Japanisch zu lernen, hatte etwas gelernt ...
[Feynman mißfiel das Hotel im amerikanischen Stil, in dem er einquartiert war, und er zog in ein echt japanisches Hotel um.]
Ich hatte beschlossen, so Japanisch wie möglich zu leben. Einmal wurde mir, als ich in dem japanischen Hotel aß, in einer Tasse mit einer gelben Flüssigkeit etwas Rundes, Hartes serviert, das ungefähr die Größe eines Eidotters hatte. Bis dahin hatte ich in Japan alles gegessen, aber das erschreckte mich: es hatte überall Windungen, wie ein Gehirn. Als ich das Mädchen fragte, was das sei, antwortete sie: »Kuri«. Das nützte mir nicht viel. Ich meinte, es sei wohl ein Tintenfisch-Ei oder so etwas. Ich aß es mit einiger Beklommenheit, denn ich wollte mich den japanischen Gepflogenheiten soweit wie möglich anpassen. (Im übrigen prägte ich mir das Wort »kuri« ein, als hinge mein Leben davon ab – ich habe es in dreißig Jahren nicht vergessen.)
Am nächsten Tag fragte ich einen Japaner auf der Tagung, was dieses Ding mit den Windungen sei. Ich erzählte ihm, es sei mir sehr schwergefallen, es zu essen. Was zum Teufel war »kuri«?
»Es bedeutet >Kastanie<« antwortete er.
[Im Original „chestnut“, aber vielleicht war es eine Walnuß.]
Einiges von dem Japanisch, daß ich gelernt hatte, tat ungeahnte Wirkung. Als es einmal sehr lange dauerte, bis der Bus abfuhr, sagte jemand: »He, Feynman! Sie können doch Japanisch; sagen Sie denen doch mal, daß sie losfahren sollen!«
Ich sagte:»Hayaku! Hayaku! Ikimasho! Ikimasho!« – Das bedeutet: »Los! Los! Beeilung! Beeilung!«
Ich merkte, daß mit meinem Japanisch etwas nicht stimmte. Ich hatte diese Ausdrücke aus einem Sprachführer für das Militär gelernt, und sie müssen ziemlich unhöflich gewesen sein, denn im Hotel huschten plötzlich alle wie Mäuse herum und sagten: »Jawohl, Sir! Jawohl, Sir!«, und der Bus fuhr gleich darauf ab....
Während ich in Kyoto war, versuchte ich mit aller Macht, Japanisch zu lernen. Ich gab mir viel mehr Mühe und kam soweit, daß ich mit Taxis herumfahren und etwas unternehmen konnte. Jeden Tag nahm ich eine Stunde Unterricht bei einem Japaner.
Eines Tages brachte er mir das Wort für »sehen« bei. »Also«, sagte er, »angenommen, Sie wollen sagen: >Darf ich Ihren Garten sehen?< Wie drücken Sie das aus?«
Ich bildete einen Satz mit dem Wort, das ich gerade gelernt hatte.
»Nein, nein!« sagte er. »Wenn Sie zu jemandem sagen: >Möchten Sie meinen Garten sehen?<, verwenden Sie das erste >sehen<. Aber wenn Sie den Garten von jemand anderem sehen möchten, müssen Sie ein anderes >sehen< verwenden, das höflicher ist.«
Im ersten Fall sagt man im Grunde: »Wollen Sie mal einen Blick auf meinen lausigen Garten werfen?«, aber wenn man sich den Garten eines anderen anschauen will, muß man etwas sagen, das ungefähr so lautet: »Darf ich Ihren herrlichen Garten in Augenschein nehmen?« Es gibt also zwei verschiedene Worte, die man verwenden muß.
Dann stellte er mir eine andere Aufgabe: »Sie gehen zu einem Tempel und möchten sich die Gärten anschauen …«
Ich bildete einen Satz, diesmal mit dem höflichen »sehen«.
»Nein, nein!« sagte er. »Im Tempel sind die Gärten viel gepflegter. Sie müssen also etwas sagen, das gleichbedeutend ist mit: >Darf ich meine Augen auf Ihre köstlichen Gärten heften?<«
Drei oder vier verschiedene Worte für einen Gedanken; denn wenn ich es tue, ist es jämmerlich, aber wenn du es tust, ist es großartig.
Ich lernte Japanisch vor allem wegen technischer Dinge, und so beschloß ich zu prüfen, ob es das gleiche Problem auch bei den Wissenschaftlern gab.
Am nächsten Tag fragte ich im Institut die Leute im Sekretariat: »Wie sagt man auf japanisch: >Ich löse die Diracsche Gleichung?<«
Sie sagten es mir.
»O. k. Jetzt möchte ich sagen: >Würden Sie die Diracsche Gleichung lösen?< – Wie sage ich das?«
»Nun, da müssen Sie ein anderes Wort für >lösen< verwenden«, sagten sie.
»Wieso?« protestierte ich. »Wenn ich sie löse, dann tue ich doch genau dasselbe, wie wenn du sie löst!«
»Schon, ja, aber es ist ein anderes Wort – es ist höflicher.«
Ich gab es auf. Ich fand, das sei keine Sprache für mich, und hörte auf, Japanisch zu lernen.
[Für seine Methode der Lösung der Diracschen Gleichung samt den berühmten Feynman-Diagrammen bekam Feynman bekanntlich den Nobelpreis. – Nebenbei: die Diagramme stellen, anders als viele meinen, keine wirklichen Vorgänge dar, sondern nur die Näherungsschritte an die Lösung der Differentialgleichungen – so wie sich schon vor über 2250 Jahren Archimedes mit seinem Exhaustionsverfahren schrittweise der Kreiszahl Pi annäherte.]
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