Spiegel online zu Walsers Neunzigstem
Wenn der Kulturredakteur des Spiegel (oder sein Korrekturautomat) alle alten Zitate in die „neue“ Rechtschreibung umsetzt, ist es Zitatenfälschung. Wenn er „schrieb“ o.ä. dazusetzt, werden daraus Lügenfälschungen:Martin Walser und seine Kritiker
Ein bisschen hinrichten
Sein Zerwürfnis mit Marcel Reich-Ranicki ist legendär aber Martin Walser hatte nie ein einfaches Verhältnis zur Literaturkritik. Erinnerungen von Volker Hage zum 90. Geburtstag des Schriftstellers.
Freitag, 24.03.2017 17:04 Uhr
Es begann mit einem Leserbrief. Er schickte ihn im Februar 1964 von Friedrichshafen nach Hamburg. Das Thema: Marcel Reich-Ranicki, der zuvor im SPIEGEL ordentlich gerupft worden war... Mit Mitte dreißig, in seinem Leserbrief, war der emporstrebende Schriftsteller kämpferischer gestimmt. Der blinde, einsträngige Indikativ ist sein bevorzugter Modus, schrieb er dem SPIEGEL: Urteilen, aburteilen und ein bisschen hinrichten. Spiegel-Lüge: Selbstverständlich hatte Walser „ein bißchen hinrichten“ geschrieben.Über Rudolf Augstein, den er schon 1947 kannte und mit dem er später befreundet war, äußerte Walser sich erstmals 1987 im SPIEGEL. Den Erfinder eines Hamburger Nachrichtenmagazins behandelte er nicht ohne Spott (Immer wieder kriegt er es hin, dass seine Sätze strahlen wie aus dem allerbesten Latein übersetzt)... In Walsers Laudatio steht natürlich im Original geschrieben:Immer wieder kriegt er es hin, daß seine Sätze strahlen wie aus dem allerbesten Latein übersetzt. Einmal murmelt er eher schwermütig, der Publizist dürfe eigentlich gar nicht daran denken, "daß Cicero den Catilina erledigen, nicht aber Cäsar und dessen Alleinherrschaft verhindern konnte. (Spiegel 8/1987) Weiter in Spiegel-Neudeutsch:Immer wieder wurde dabei Walsers Sprachkraft bewundert und das künstlerische Ergebnis bemängelt. Walsers auf Halbzeit folgender Roman Das Einhorn, hieß es 1966, sei so eloquent, dass es kaum noch auszuhalten ist. Der Roman selbst hält es nicht aus. Natürlich wurde wieder „nur“ ein „daß“ umgefälscht:Walsers neuer Roman Das Einhorn, eine Art zweite Halbzeit, ist so eloquent, daß es kaum noch auszuhalten ist. Der Roman selbst hält es nicht aus. Gewiß, auch hier gibt es wieder Preziosen der Formulierkunst (Spiegel 37/1966) In der Zeit des Wiedervereinigungs- und Rechtschreibumbruchs traten seltsam widersprüchliche Positionen zutage: Grass als Gegner der Wiedervereinigung blieb auch Gegner der Rechtschreib„reform“, während Walser trotz seiner Freude über die Wiedervereinigung schließlich Mitläufer der orthographischen Spalter wurde.Tatsächlich war es ein gründliches, ein grundsätzliches Gespräch über Deutschland und die Rolle der deutschen Intellektuellen die standen, wie Günter Grass, in jenen Tagen zu einem großen Teil der Wiedervereinigung skeptisch gegenüber. Walser dagegen erklärte, "dass für mich die Entwicklung, die jetzt zur Einigung geführt hat, das schönste Politische ist, was ich in meinem Leben erfahren habe, Walsers Rede wurde jedoch richtig so wiedergegeben:WALSER: Also erst einmal muß ich wirklich deutlich sagen, daß für mich die Entwicklung, die jetzt zur Einigung geführt hat, das schönste Politische ist...(Spiegel 41/1990) Auch hier kann sich der Kulturredakteur damit herausreden, daß er die Worte Walsers ja so gehört habe:Ich kenne keinen Schriftsteller, der lieber nach seinen politischen Auftritten beurteilt werden möchte als nach seinen Romanen, sagte er fünf Jahre später zu mir, als ich für den SPIEGEL mit ihm sprach. Die Forderung, dass bei einem Schriftsteller die Weltveränderungsbotschaft dabei sein müsse, ist eher eine Art von Gesellschaftsspiel. Im Spiegel kurz vor Beginn der Reformkatastrophe 1995 steht es jedoch so:Walser: Ich kenne keinen Schriftsteller, der lieber nach seinen politischen Auftritten beurteilt werden möchte als nach seinen Romanen. Die Forderung, daß bei einem Schriftsteller die Weltveränderungsbotschaft dabeisein müsse, ist eher eine Art von Gesellschaftsspiel. (Spiegel 4.9.1995) Das „Treffen an Goethes Geburtstag“ fand dann in Walsers Wohnort mit dem reformresistenten Namen Nußdorf statt, der nun reformlogisch „Nuusdorf“ auszusprechen wäre. Hier haben die nichtsnutzigen Politiker ihr Weltveränderungs-Gesellschaftsspiel nicht zuende zu spielen gewagt. Dieses Treffen im August 1995 verdankte sich weniger einem aktuellen Anlass als einer alten Verabredung zwischen uns. Mein erster Besuch in Nußdorf am Bodensee, die erste persönliche Begegnung mit Walser, hatte genau zehn Jahre zuvor stattgefunden... ( spiegel.de 24.3.2017) Man kann nun einwenden, daß hier sichtbar wird, wie harmlos das ganze „Reförmchen“ sei. Gerade das penetrante Dass-Deutsch zeigt aber, wie sinnlos dieser herostratische Anschlag auf die seit 600, 400 und 200 Jahren gewachsene Rechtschreibung war, in dem eine Handvoll Wichtigtuer und Politkasper hundert Millionen Deutschsprachige am Nasenring mitgezogen haben. Jetzt soll niemand mehr an die gute Tradition erinnert werden.
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