Freiheit, die ich meine
Der Sprachwissenschaftler Jan Henrik Holst hat auf „Ansage“ einen interessanten Artikel verfaßt. Die Rahmenerzählung lasse ich weg. Sie sollte im Original nachgelesen werden:
Freihals – das gotische Wort für Freiheit
Von
Jan Henrik Holst
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16. Oktober 2022
Freiheit = „Frei Hals”: Skulptur einer Sklavin mit Halseisen (Symbolbild:Imago)
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Germanische Sprachzusammenhänge
Besonders interessant sind nun bestimmte Umstände rund um das Wort der germanischen Sprachen für „frei”. Vorab übrigens (nicht, daß sich jemand Sorgen macht!): „Germanisch“ ist schlicht die Bezeichnung für die europäische Gruppe von Sprachen wie Englisch, Deutsch, Dänisch, Schwedisch und so weiter; es sind diejenigen Sprachen, in denen etwa „Hand“ immer so oder ähnlich lautet (dänisch hånd, englisch hand…), oder „Stein“ ähnlich lautet wie englisch stone, schwedisch sten, isländisch steinn et cetera. Kenntnisse über die alten Zusammenhänge zwischen diesen Sprachen sind überaus nützlich für deren Erlernen.
Dementsprechend ist es auch bei „frei”: englisch free, niederländisch vrij, dänisch und schwedisch fri, und so weiter. Das Wort soll sogar im Namen der Friesen enthalten sein.
Es hängt übrigens nachgewiesenermaßen mit altindisch priyáh, „lieb“ zusammen, was in sich selbst schon semantisch interessant ist, da also ein Bezug zwischen Freiheit und Liebe bestehen muß – aber das nur am Rande. Als ich vor acht Jahren mein Isländisch verbesserte, wunderte ich mich jedoch über das isländische Wort für „frei”: Es ist frjáls (á ausgesprochen wie au), und während einem das frj– noch bekannt vorkommt (schwedisch fri), ist mit dem –áls anscheinend irgendetwas anderes da hinten dran.
Gestrandet mit Gotisch
Im Frühling 2020 hatten auf einmal die Universitätsbibliotheken zu, und ich saß fest, ohne Nachschub für den Wissensdurst, mit Büchern über Gotisch – die ältestüberlieferte germanische Sprache, die heute ausgestorben ist. Es blieb mir zum Nutzen der Zeit nichts anderes übrig, als mich – viel gründlicher als ursprünglich geplant – in diese Sprache einzuarbeiten. Gestrandet mit Gotisch! Dabei begegnet einem neben freis, „frei”, dann bald das Wort freihals für „Freiheit“ (so etwa in Wolfgang Krauses „Handbuch des Gotischen”; ei ist in beiden Wörtern auszusprechen als langes i). Damit ist nun schnell klar, daß das isländische frjáls für „frei“ diesem letzteren Wort freihals entspricht; das h fiel im Altnordischen weg, und das Wort zeigt eine Kontraktion. Gleichzeitig aber drängt sich eine Frage auf: Warum -hals? Hat es etwas mit dem Körperteil Hals zu tun, der auf gotisch ebenfalls hals heißt? Oder ist da nur ein Zufall im Spiel?
In diesem Sommer 2022 nun fiel mir beim Einarbeiten ins Altenglische in einer Bibliothek ein kleines Büchlein älteren Datums in die Hände: Die 6. Auflage von Martin Lehnerts 1965 erschienenem „Altenglischen Elementarbuch – Einführung, Grammatik, Texte mit Übersetzung und Wörterbuch”. Dabei stellte sich heraus, dass „Freiheit“ auf Altenglisch frēols lautet; zudem gibt es auf Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch ein Wort frīhals, „der Freie”. Das Büchlein vermerkt dazu lapidar: „Der Sklave trug einen Ring um den Hals.“ Also doch! Wir fassen also als Zwischenergebnis zusammen: Der freie Mensch hat einen freien Hals – und ist ganz allgemein vom Hals aufwärts nicht durch irgendeine Maskerade oder andere aufgezwungene Bekleidung behindert.
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ansage.org 16.10.2022
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