Robert Havemann
Vera Lengsfeld hatte 2004 die Parlaments-Initiative gegen die Rechtschreibreform unterstützt. Jetzt schreibt sie reformiert, um nicht aufzufallen und noch abgedruckt zu werden. Auf der „Achse“ hätte sie Robert Havemann originalgetreu und fachlich richtig zitieren können, aber sie hat es unterlassen. So schreibt Havemann 1977 das Dass-Deutsch von 1996:
Vera Lengsfeld 28.07.2015
Kein Sozialismus ohne Freiheit?
Robert Havemann, Physiker, von den Nazis zum Tode verurteilter Kommunist, bekanntester Regimekritiker der DDR, gab mit seinem „Berliner Appell“ den entscheidenden Anstoß zur Entstehung der „Unabhängigen Friedens- Umwelt und Menschenrechtsbewegung“ der DDR der achtziger Jahre... Anlässlich einer Generalrevision meiner Bücherregale, beschloss ich, „Fragen, Antworten, Fragen- Aus der Biographie eines Deutschen Marxisten“ nach über dreißig Jahren noch einmal zu lesen. Mit großem Gewinn. Manche Sätze scheinen für die heutige Situation geschrieben zu sein: „Unsere Verfassung garantiert ja das Recht der freien Meinungsäußerung. Das Unglück ist nur, dass es so wenige in Anspruch nehmen.“ Gemeint ist die DDR-Verfassung, nicht das Grundgesetz, dessen Wortlaut heute weitgehend unbekannt zu sein scheint.
Was Havemann zur Meinungsbildung in der sozialistischen DDR analysierte, ist von beklemmender Aktualität: „Eine demokratische Meinungsbildung von unten ist absolut ausgeschlossen. Zwar bilden sich zu allen wichtigen Fragen die verschiedenartigsten Meinungen innerhalb der Bevölkerung. Aber diese Meinungen des Mannes auf der Straße sind fast immer gegen die offizielle Meinung, die von oben dekretiert wird, gerichtet. In der Presse, im Rundfunk und Fernsehen wird diese offizielle Meinung zwar unaufhörlich und unisono verkündet, aber trotzdem gelingt es nicht, die Ansichten und das Denken der Volksmassen mit Hilfe dieses staatlichen Informationsmonopols zu manipulieren. Auch innerhalb der strukturellen Fasern des Machtapparats bleibt das Denken der Staats- und Parteifunktionäre völlig schizophren. Sie wissen, was sie zu denken haben. Die wahren Ansichten dieser Leute kann man nur unter vier Augen erfahren….“
[Wir nähern uns offensichtlich wieder diesem Zustand.]
Interessant ist Havemanns Analyse, wie es zum Stalinismus in Deutschland kam:„.... in diesem elenden, zerrissenen, militärisch besetzten , hungernden Land war Demokratie nicht nur eine lächerliche Illusion, sie war einfach unangebracht. Was hätte schon dabei herauskommen können, wenn diese Leute das Recht gehabt hätten, frei für sich selbst zu entscheiden. Nein, sie mussten geleitet werden, ohne gefragt zu werden, von klugen, fortschrittlichen und selbstlosen Leuten. Erfüllt von unserem Sendungsbewusstsein hielten wir uns für die einzigen historisch Berufenen. Wir wurden zu Stalinisten, ohne es zu merken.“ Auch heute wimmelt es um uns herum von Leuten, die erfüllt von Sendungsbewusstsein sind und sich für berechtigt halten, um der edlen Sache willen, das dumme Volk zu erziehen.
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Eine andere Beobachtung Havemanns ist noch interessant: „Innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft entwickeln sich auf allen Gebieten des Lebens neue Ideen, während die Ideen der Herrschenden mehr und mehr erstarren und verkalken. Es zeigt sich, dass Form und Inhalt der parlamentarischen Demokratie sich immer weniger entsprechen. Der progressive freiheitliche Charakter der Form gerät in wachsenden Widerspruch zum zunehmend reaktionären Inhalt des Systems.“
[Hier rutscht Frau Lengsfeld noch etwas Bewährtes in ihren eigenen Text:]
Man muß wahrscheinlich die Erfahrung zweier Diktaturen hinter sich haben, um so genau die Gefährdungen der Demokratie beschreiben zu können. [...]
achgut.com 28.7.2015
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