Der sogenannte "Rat für deutsche Rechtschreibung" (28.02.2005)
Was ist vom „Rat für deutsche Rechtschreibung“ zu erwarten?
Nach dem Internationalen Arbeitskreis, der Zwischenstaatlichen Kommission und dem Beirat für deutsche Rechtschreibung ist der „Rat“ das vierte Gremium, das sich mit demselben Gegenstand befassen soll: der Durchsetzung einer Rechtschreibreform gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit, insbesondere fast aller Schriftsteller und Intellektuellen. (Sogar der VdS Bildungsmedien stellt in seinen Mitteilungen vom September 2004 fest: „Die große Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Reform weiterhin ab.“) Die Ministerpräsidenten und Kultusminister versprechen dem widerspenstigen Volk, daß dieses Gremium die Steine des Anstoßes beseitigen und eine allseits akzeptierbare Lösung der von ihnen selbst verursachten Krise finden werde. Der Vorsitzende des Rates will die Gesellschaft „mit der Rechtschreibreform versöhnen“. Was berechtigt zu solcher Erwartung? Dazu muß man sich die Mitglieder im Rat für deutsche Rechtschreibung genauer ansehen:
Deutschland
Prof. Dr. Ludwig Eichinger, Institut für Deutsche Sprache
Prof. Dr. Norbert Richard Wolf, Institut für Deutsche Sprache
N.N., N.N., Akademie für Sprache und Dichtung
Dr. Matthias Wermke, Dudenredaktion des Bibliographischen Instituts & F.A. Brockhaus AG
Frau Dr. Sabine Krome Wissen, Media Verlag/Wahrig-Wörterbuch
Prof. Dr. Rudolf Hoberg, Gesellschaft für deutsche Sprache
Prof. Dr. Werner Besch, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften
Prof. Dr. Jacob Ossner, Symposion Deutschdidaktik e.V.
Fritz Tangermann, Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband
Dr. Edmund Jacoby, Börsenverein des deutschen Buchhandels
Michael Banse, VdS Bildungsmedien
Ulrike Kaiser, Deutscher Journalistenverband/Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion
Jürgen Hein, Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen
Anja Pasquay, Bundesverband deutscher Zeitungsverleger – BDZV
Wolfgang Fürstner, Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V.
N.N., P.E.N.-Zentrum Deutschland
Dr. Ludwig Eckinger, Deutscher Beamtenbund/Deutscher Gewerkschaftsbund
Österreich
Landesschulinspektor Dr. Karl Blüml, Didaktik
OStR Prof. Günter Lusser, Didaktik
o.Univ.-Prof. Dr. Richard Schrodt, Wissenschaft
Mag. Ulrike Steiner, Österreichisches Wörterbuch
Bundesminister a. D. Dr. Helmut Zilk, Pädagogik
Obersenatsrat Dr. Kurt Scholz, Pädagogik
Dr. Hans Haider, Journalismus
Dir. Georg Glöckler, öbv&hpt
Dr. Ludwig Laher, Autoren
Schweiz
Prof. Dr. Horst Sitta, Fachwissenschaft
Prof. Dr. Peter Gallmann, Fachwissenschaft
Prof. Dr. Thomas Lindauer, Fachdidaktik
Max A. Müller, Lehrerorganisationen
Dr. Werner Hauck, Öffentliche Verwaltung
Peter Feller, Schulbuchverlage
Stephan Dové, Zeitungs- und Zeitschriftenverlegerverband
Dr. Monique R. Siegel, PEN-Zentrum Schweiz
1 Sitz vakant
(Quelle: http://www.kmk.org vom 17.12.2004; Vorname bei Dr. Sabine Krome ergänzt)
Sieben Mitglieder saßen schon in der nunmehr aufgelösten zwölfköpfigen Zwischenstaatlichen Kommission. Österreich und die Schweiz haben alle bisherigen Kommissionsmitglieder in den neuen Rat entsandt – ein provozierendes Signal, wenn man bedenkt, daß die Kommission wegen Unfähigkeit aufgelöst wurde. Damit machen die Regierungen der beiden Staaten deutlich, was sie von den Revisionsbemühungen der deutschen Kultusminister halten. Aus der gleichen Protesthaltung heraus hatten sie bereits den deutschen „Beirat“ nicht mitgetragen, sondern regierungsnahe eigene Beiräte geschaffen. Von deutscher Seite ist Hoberg geblieben, die anderen wurden durch Personen ersetzt, die für Kontinuität des Kurses bürgen. Fast alle deutschen Mitglieder stammen aus dem aufgelösten Beirat.
Hier ist zum Vergleich die Besetzung des bisherigen deutschen Beirats:
P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland
Verband deutscher Schriftsteller in der IG Medien
Deutscher Journalistenverband
Bundesverband deutscher Zeitungsverleger e.V.
Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V.
Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen
Börsenverein des Deutschen Buchhandels
VdS Bildungsmedien e.V.
Bundeselternrat
Deutscher Gewerkschaftsbund Lehrerorganisationen
Deutscher Beamtenbund Lehrerorganisationen
Deutsches Institut für Normung
Dudenredaktion
Bertelsmann-Lexikonverlag
Wahrig-Wörterbuchredaktion
Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V.
Ausgeschieden sind einige Vertreter, die auch bisher schon als mehr oder weniger stumme Gäste dabeisaßen bzw. sich entschuldigen ließen wie das Deutsche Institut für Normung oder der Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V. Den Bundeselternrat rechnet der VdS Bildungsmedien (d. h. der Verband der Schulbuchverleger) ohnehin zu seiner „Verbändeallianz“, vgl. meinen Beitrag „Die Schulbuchverleger und die Rechtschreibreform“. Immerhin verdient festgehalten zu werden, daß im Rat nicht einmal zur Wahrung des Scheins Eltern oder Schüler vertreten sind, wohl aber reichlich Wirtschaftsunternehmen und Berufsverbände. Zur letzten gemeinsamen Aktion der „Verbändeallianz“, einer Pressekonferenz in Berlin am 1.10.2004, waren noch die Vorsitzenden von Bundeselternrat und Bundesschülervertretung eingeladen worden; sie dankten es durch bedingungslose Zustimmung. Der Vorsitzende des Bundeselternrats bezeichnete die Reform als einen „Glücksfall“. – Wahrig ist inzwischen eine Bertelsmann-Marke, so daß auf Renate Wahrig-Burfeind verzichtet werden kann.
Der „Beirat“ war bereits nach den Wünschen der Zwischenstaatlichen Kommission zusammengestellt, die er beraten oder beaufsichtigen sollte.
„Der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung wurde 2000 ein Beirat zugeordnet. Dieser Beirat begleitet die Arbeit der Kommission, die sich bis 2005, das heißt bis zur endgültigen Fassung des neuen Regelwerkes, weiter mit der Rechtschreibreform befasst. Den Mitgliedern des Beirats obliegt es, vor dem Hintergrund der Umsetzung der neuen Rechtschreibung als notwendig bzw. wünschenswert erachtete Korrekturen an der Reform vorzubringen und zu diskutieren. Die Mitglieder des Beirats wurden von der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung der Kultusministerkonferenz der Länder vorgeschlagen, die ihrerseits über die Zusammensetzung des Beirats zu entscheiden hatte. Dieser Entscheidung musste im Weiteren die Bundesregierung zustimmen.“ (Verband der freien Lektorinnen und Lektoren)
Die Kommission selbst wiederum war aus der Gruppe der Reformer hervorgegangen und nach deren Wünschen zusammengesetzt, wie ihr ehemaliges Mitglied Horst H. Munske bestätigt:
„Als elementaren Fehler erkennt man nachträglich, daß die KMK keinerlei Einfluß auf die Zusammensetzung der Mannheimer Rechtschreibkommission genommen hat.“ (Horst H. Munske: Verfehlte Kulturpolitik. In: Kunst und Kultur 1/1998, S. 23)
Der „Rat“ ist nach Vorschlägen der Zwischenstaatlichen Kommission besetzt (FAZ 24.8.2004). In dieser personellen Kontinuität setzt sich eine Entwicklung fort, die ein führender Reformer im Rückblick auf die verschiedenen Reformarbeitskreise einmal so kennzeichnete:
„Der Aufeinanderfolge der Gremien entspricht eine durch persönlich-personelle Verknüpfung gestiftete und gesicherte Tradition auch mehrerer Forschergenerationen über mehr als drei Jahrzehnte hin, die sich als 'Reihendienst' im Sinne Jost Triers oder – im Sinne einer Metapher aus dem Sport – als 'Staffellauf' verstehen läßt.“ (Wolfgang Mentrup in: IDS 25 Jahre, Mannheim 1989, S.102)
Die ununterbrochene Selbstergänzung unbedingt reformwilliger Arbeitskreise macht diese zu einem von der Öffentlichkeit weitgehend abgeschnittenen Mikrokosmos, an den Diskussion und Kritik kaum noch heranreichen.
Der Beirat ist im Laufe der Jahre nur zweimal zu Arbeitssitzungen zusammengetreten, um den dritten und vierten Bericht durchzuwinken; einige Mitglieder sind gar nicht erst erschienen oder haben nur schriftliche Stellungnahmen eingereicht, die aber von dem Gremium nicht berücksichtigt wurden. Es gab – nach persönlicher Auskunft mehrerer Mitglieder – auch durchaus Streit, aber in der abschließenden Stellungnahme zu den Berichten ist davon nichts mehr zu entdecken.
Seinen Sitz hat der Rat am Institut für deutsche Sprache in Mannheim, dem bisherigen Zentrum der Reformpropaganda. Er hat die Aufgabe, die Durchsetzung der Rechtschreibreform zu begleiten, und zwar so, wie sie von der Kultusministerkonferenz beschlossen ist. Dabei darf er auch kritische Bemerkungen äußern; eine Rücknahme der Reform kommt auftragsgemäß aber nicht in Betracht.
Das „Statut“, nach dem der Rat arbeitet, wurde erst am 16.12.2004, also einen Tag vor der konstituierenden Sitzung, von den Regierungen der drei deutschsprachigen Staaten beschlossen und war daher den Mitgliedern nicht bekannt, als sie in Mannheim zusammentrafen; erst während der Sitzung wurde es ausgeteilt. Man darf nach den bisherigen Erfahrungen vermuten, daß dies so beabsichtigt war, denn das Statut stellt die Arbeit des Rates unter unzumutbar restriktive Bedingungen.
Die Wissenschaft ist im Rat nur in Spuren vertreten, und zwar fast ausschließlich in Gestalt der Reformer und ihrer Freunde. Den Kern des Rates bilden die Schulbuch- und Wörterbuchverlage, also die wirtschaftlich an der weiteren Durchsetzung der Reform besonders Interessierten. Sie beherrschten schon den bisherigen „Beirat“, was andere Mitglieder in ängstlich-vertraulichen Mitteilungen beklagten. Der Dudenverlag hat die jüngsten Änderungsbeschlüsse der KMK wenigstens teilweise bereits in einem Ende August 2004 erschienenen neuen Rechtschreibduden umgesetzt; Bertelsmann hat für den Mai 2005 ein neues Rechtschreibwörterbuch angekündigt. In beiden Fällen hängt daran eine große Menge weiterer Publikationen. Beide Unternehmen sind schon aus diesem Grunde an einer weiteren Durchsetzung der Reform in ihrer aktuellen Version ohne große Veränderungen interessiert. Dafür spricht auch die Terminplanung: Bis zum 31. Juli 2005 müssen die nochmals revidierten neuen Wörterbücher vorliegen; die nächste Sitzung des Rates, auf der erstmals inhaltliche Fragen besprochen werden sollen, findet am 18. Februar 2005 statt – es bleibt also gar keine Zeit für umfangreichere Eingriffe. Zur Stabilisierung der wankenden Reform sponserte der Brockhauskonzern im Mai 2004 eine mehrteilige, von Hape Kerkeling moderierte Sendung von RTL mit dem Titel „Der große Deutsch-Test“. Als Juror war der stellvertretende Duden-Chefredakteur Werner Scholze-Stubenrecht anwesend. Der Werbeaufwand war beachtlich.
Welches besondere Interesse der Bertelsmann-Konzern an der Rechtschreibreform hat, geht aus folgender Mitteilung hervor:
„Ein Extrageschäft hat dem Konzern die Rechtschreibreform beschert. Von der hauseigenen 'Neuen Rechtschreibung' wurden bereits rund 1,7 Millionen Exemplare verkauft. Das Ziel, in die Domäne des 'Duden' einzubrechen und bei einem Marktpotential von zehn Millionen Bänden einen Anteil von über 25 Prozent zu erhalten, dürfte damit problemlos erreicht werden.“ (Berliner Zeitung, 23.11.1996)
Auch in einer im Internet verbreiteten „Chronologie“ der Reform läßt der Konzern erkennen, daß er die Rechtschreibreform, durch die er „neben Duden der zweite deutsche Wörterbuchverlag“ wurde, als seine ureigene Sache betrachtet. Um der drohenden Wiederherstellung der Duden-Vormacht entgegenzuwirken, bot der Bertelsmann-Vertrieb am 14.1.1999 allen Buchhandlungen per Fax an, Prof. Götze in einer öffentlichen Vortragsveranstaltung die Vorzüge der von ihm bearbeiteten Bertelsmann-Rechtschreibung darlegen zu lassen.
Die Schulbuchverleger werden wiederum durch Michael Banse (Klett Leipzig) vertreten, der schon im bisherigen Beirat für deutsche Rechtschreibung saß, vgl. den Jahresbericht des VdS-Vorsitzenden von 2001:
„Unser Verband wurde Ende 2000 in den Beirat zur Zwischenstaatlichen Kommission berufen, Herr Banse vertritt dort unsere Interessen und wacht darüber, dass uns allen nichts Unangenehmes passiert.“
Das wird er auch weiterhin tun. Um einen Sitz im Rat hat sich der VdS laut Verbandsmitteilung frühzeitig aktiv beworben („Es besteht kein Zweifel daran, dass unser Verband in diesem Rat mit von der Partie sein will,“ sagte der Vorsitzende im Jahresbericht 2004) und rühmt sich auch sonst, „massiv“ auf die zuständigen Politiker „eingewirkt“ zu haben.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wird mit zwei Sitzen geködert. Zwei Sitze bekommt aber auch das Institut für deutsche Sprache (IDS).
Das IDS hat sich auf Betreiben seines damaligen Direktors Gerhard Stickel jahrelang als Sprachrohr der Reform betätigt und sich beispielsweise in seiner Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht zu der These verstiegen, die Richtigkeit der Schreibweisen sei allenfalls mit der Richtigkeit von Postleitzahlen zu vergleichen – eine im Lichte der Orthographieforschung erstaunlich inkompetente, um nicht zu sagen frivole Behauptung. Protestierende Schriftsteller wurden vom Institut in Pressemitteilungen verhöhnt (vgl. „Was manche Schriftsteller alles nicht wissen“ vom 17.10.1997 sowie den ersten Bericht der Kommission vom Dezember 1997). Das Institut gab jahrelang auch nach dem Erlöschen seines Mandats offiziöse Erklärungen zum weiteren Fortgang der Reform ab. Es kommt schon deshalb für eine ernsthafte Auseinandersetzung über orthographische Fragen nicht in Betracht, auch wenn alle seine Veröffentlichungen auf (fehlerhafte) Reformschreibung umgestellt sind. Unter Sprachwissenschaftlern gilt das IDS ohnehin als nicht besonders effizient:
„Die mit öffentlichen Geldern geförderte Mammutinstitution [beachtet] die eigentlichen Anliegen und Interessen der Sprachgemeinschaft kaum. So versagte sie an der dringendsten Aufgabe, ein umfassendes Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache zu erstellen, so daß die Sprachgemeinschaft der Brüder Grimm in diesem Punkte nun weit hinter den europäischen Nachbarn zurücksteht. Stattdessen hat das IdS eine überflüssige Rechtschreibreform betrieben und bis zuletzt verteidigt (s. Sprachreport 16 [2000], 8), die aufgrund ihrer schweren inhaltlichen Mängel mittlerweile die Einheit der deutschen Rechtschreibung – ein hohes Gut der Sprachgemeinschaft – zerstört hat.“ (Heinz-Günther Schmitz in: Vulpis Adolatio. Fs. f. Hubertus Menke. Heidelberg 2001, S. 725)
Übrigens geht die Besetzung der gescheiterten Zwischenstaatlichen Kommission weitgehend auf das IDS zurück, das hier ein Vorschlagsrecht für fünf der sechs deutschen Vertreter besaß.
Stickels Nachfolger Ludwig M. Eichinger hält die Rechtschreibreform für „grundsätzlich gelungen“ und lobt insbesondere die neue Zeichensetzung (dpa 31.7.2003). Der neue Mann in der Runde, Norbert Richard Wolf (Professor in Würzburg), empfiehlt sich schon lange durch Polemik gegen die Kritiker der Rechtschreibreform. In seinen „Hinweisen zu einigen Spezialfällen der Rechtschreibreform“ (Internet-Fassung) gibt er zu erkennen, daß ihm grammatisch falsche Schreibweisen wie Not tun, Pleite gehen nichts ausmachen. Die „Hinweise“ verteidigen die überholte Reformfassung von 1996, Wolf wird aber sicher auch die jüngste Wende mitmachen.
Während der konstituierenden Sitzung des Rates am 17.12.2004 erfuhren die Mitglieder zu ihrem Erstaunen, daß das IdS bereits die Stelle eines Geschäftsführers für den Rat ausgeschrieben hatte und die Bewebungsfrist eine Woche zuvor abgelaufen war.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat inzwischen ihre Teilnahme abgesagt, jedoch Bedingungen gestellt, über die sich verhandeln läßt. Der Ratsvorsitzende Zehetmair rechnet mit ihrer Rückkehr in die Runde und hat bereits ein Gespräch mit Präsident Reichert für Januar 2005 vereinbart. Sie kann sich ihrer Alibirolle schwer verweigern, weil sie ihr Pulver allzu früh verschossen hat, bot sie doch ungefragt einen „Kompromiß“ an, als dies noch gar nicht nötig war. Während die Zeitungen und Zeitschriften des Axel Springer Verlags, die F.A.Z., die Schweizer Monatshefte und andere Publikationen (laut „Capital“ bis Dezember 2004 rund 300 Zeitschriften und Zeitungen) längst die beste Lösung, also die schlichte Rückkehr zur bewährten Orthographie, vorführen, preist die Akademie immer noch ihre „zweitbeste“ an, einen derart faulen Kompromiß, daß die Zwischenstaatliche Kommission mit Recht jede Diskussion darüber ablehnte. Drei auf Druck der KMK zustandegekommene Treffen verliefen unerfreulich. Doch selbst wenn die Akademie ihre zaghafte Kritik vortragen sollte, wird sie durch das IDS sofort neutralisiert.
Die Gesellschaft für deutsche Sprache, von ihrem äußerst autoritär auftretenden Vorstand auf Reformkurs gezwungen, wird durch ihren Vorsitzenden Hoberg vertreten, der bereits in der Zwischenstaatlichen Kommission saß. Zur bisherigen Befassung dieses Vereins mit der Rechtschreibreform gebe ich zunächst einen Abschnitt aus meinem Buch „Regelungsgewalt“ wieder:
„Während der Mitgliederversammlung am 10. Mai 1998 in Wiesbaden beantragte ich, folgendes zu erklären: 'Die Gesellschaft für deutsche Sprache sieht sich zur Zeit außerstande, ein Votum zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in der Fassung von 1996 abzugeben, da unter den Mitgliedern keine eindeutige Meinung zu diesem Gegenstand festgestellt worden ist.'“ (Damit wollte ich verhindern, daß der Vorsitzende wenige Tage später vor dem Bundesverfassungsgericht die Rechtschreibreform im Namen der GfdS guthieß.) „Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt, ebenso wie zuvor der Antrag von Hildegard Krämer auf eine Mitgliederbefragung zur Reform; doch kam es während der Aussprache zu einer unschönen Szene. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter, vertreten durch Helmut Walther (Schriftleiter des „Sprachdienstes“), Gerhard Müller (Schriftleiter der „Muttersprache“) und Uwe Förster, erklärten übereinstimmend, sie hätte in zwei Jahren tagtäglicher Sprachberatung mit der Neuregelung die Einsicht gewonnen, daß die Rechtschreibreform nichts tauge. Daraufhin wurden sie vom Vorstand (Vorsitzer Günther Pflug, Vorstandsmitglied Rudolf Hoberg, Geschäftsführerin Karin Frank-Cyrus) lautstark niedergemacht, ließen sich aber nicht einschüchtern. Bezeichnenderweise gaben sie auf die Frage, warum sie das nicht eher gesagt hätten, die Antwort, sie seien nie gefragt worden – was ein Licht auf das Betriebsklima in der Wiesbadener Geschäftsstelle warf, das besonders durch die Geschäftsführerin nachhaltig gestört sein soll und seither sicher nicht besser geworden ist.“
Dieser Bericht wird bestätigt durch einen weiteren Zeugen, Prof. Horst Dieter Schlosser (Frankfurt):
„Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, hat sich Herr Prof. Pflug in Sachen Rechtschreibreform bei seiner Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht schlicht wahrheitswidrig vehalten, wenn er dabei erklärt hat, die GfdS habe in ihrer Sprachberatung mit den neuen Regeln nur gute Erfahrungen gemacht. Das Gegenteil war nämlich der Fall. Denn es hat auf der Mitgliederversammlung der GfdS 1998 gerade deswegen heftige Auseinandersetzungen gegeben. Die Sprachberater erklärten auf dieser Versammlung in öffentlicher Sitzung, sie seien bisher von niemandem aus dem Vorstand oder der Geschäftsführung nach ihren Erfahrungen mit den neuen Regeln befragt worden; tatsächlich seien sie aber gerade auf Grund ihrer Erfahrungen in der Sprachberatung von anfänglichen Befürwortern der Reform zu Kritikern geworden. Eine positive Stellungnahme der GfdS entbehre also jeder Grundlage. Vorstand und Geschäftsführung reagierten auf diese Erklärung äußerst gereizt und beschimpften die Sprachberater in aller Öffentlichkeit wegen dieser politisch offenbar unerwünschten Äußerungen. Unter der Hand konnte man später erfahren, dass die Sprachberater danach in dieser Frage ein regelrechtes Redeverbot erhielten.“ (Horst Dieter Schlosser in einem Brief an Silke Wiechers vom 10.6.2003, abgedruckt in dies.: Die Gesellschaft für deutsche Sprache. Frankfurt 2004, S. 327)
Silke Wiechers, die selbst zeitweise Mitarbeiterin der GfdS war, bemerkt abschließend:
„Mit dem Wissen um ein derart autoritäres und antidemokratisches Vorgehen, bei dem die Erfahrungen der Sprachberatung im eigenen Haus bewußt nicht einbezogen wurden, kann der GfdS unter dieser Leitung Glaubwürdigkeit und Kompetenz zum Thema 'Rechtschreibreform' kaum noch zugebilligt werden.“ (ebd.)
Auch Hoberg hat sich verächtlich über die protestierenden Schriftsteller geäußert (z. B. im ZDF am 1.8.2003). Es sei noch erwähnt, daß ein umfangreicher Band „Förderung der Sprachkultur in Deutschland“, herausgegeben von der GfdS und dem IDS, zwar Platz für die skurrile „Deutsche Gesellschaft zur Rettung des Konjunktivs“ und Großunternehmen wie die Bertelsmann-Stiftung hatte, die mit Sprachpflege nichts zu tun haben, nicht aber für Vereine und Initiativen, die gegen die Rechtschreibreform kämpfen, mögen sie auch würdig gewesen sein, vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundestag angehört zu werden. Die ebenso einseitige wie oberflächliche Stellungnahme der GfdS für das Bundesverfassungsgericht (18.9.1997) wurde von der baden-württembergischen Kultusministerin sogleich als Beweis dafür interpretiert, „die Sprachwissenschaft“ unterstütze die Rechtschreibreform.
Die Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen wird durch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) vertreten. Wie sich dpa um die Durchsetzung der Rechtschreibreform verdient gemacht hat, ist in meinem Buch „Regelungsgewalt“ dokumentiert. Im zweiten Bericht der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission (2000) heißt es:
„Ein besonderer Stellenwert aber musste dem Vorhaben der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen zugemessen werden, zum l. August 1999 die neue Schreibung 'weitestgehend und in einem Schritt' einzuführen – eine Entscheidung, die von nicht zu unterschätzender Bedeutung im Hinblick auf die Haltung der Öffentlichkeit sein musste, weil zeitgleich auch der weitaus größte Teil aller Presseorgane die Umstellung mit vollzog.“
Viele Zeitungen fühlten sich damals von dpa überrumpelt. Die Agenturen pflegen eine fehlerhafte, von dpa ausgearbeitete Hausorthographie und verwirren damit die Schüler zusätzlich. Es bleibt abzuwarten, ob der Vorstoß des Springer-Verlags hier ein Umdenken bewirkt. Das gilt auch für den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger. Er ist zwar zu den Hauptverantwortlichen zu zählen, weil sein abgestimmtes Vorgehen im Sommer 1999 die Durchsetzung der Reform erst möglich gemacht hat, ist aber wenigstens finanziell uninteressiert, wie seine kurze, von Volker Schulze und Anja Pasquay unterzeichnete Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht vom 8.4.1998 deutlich machte:
„Unseren Erkenntnissen zufolge bedeutet die Umsetzung der Rechtschreibreform für die Zeitungsbranche ein Investitionsvolumen von rund fünf Millionen Mark. Dieser Betrag ist, mit Blick auf den Gesamtumsatz unserer Branche, nicht allzu hoch; eine Rücknahme der Reform würde folglich keine bedeutenden Verluste mit sich bringen.“
Schwer zu verstehen ist, warum neben den Zeitungsverlegern auch noch die Zeitschriftenverleger vertreten sind. Diese Entscheidung verstärkt nur das Stimmgewicht der wirtschaftlichen Interessen; einen inhaltlichen Beitrag kann man von den Verlegerverbänden schwerlich erwarten.
Ulrike Kaiser hat als Chefredakteurin die Zeitschrift „Journalist“, das Organ des Deutschen Journalistenverbandes, im Jahre 1999 auf Reformschreibung umgestellt.
Kritische Alibistimmen sind für die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und für das PEN-Zentrum Deutschland vorgesehen. Die Akademien haben sich bereits geschlossen für eine Rücknahme der Reform eingesetzt, werden aber problemlos überstimmt werden und brauchen an den Scheinverhandlungen eigentlich gar nicht erst teilzunehmen. Für das PEN-Zentrum gilt dasselbe; es hat sich in einer Resolution gegen die Rechtschreibreform ausgesprochen (14.5.2004), zuvor im „Beirat“ allerdings die Entscheidungen der schlagkräftigen Mehrheit mitgetragen. Beide Institutionen haben inzwischen erklärt, daß sie nicht mitmachen wollen; die Union der Akademien ließ später wissen, daß sie nur bei ausgewogener Beteiligung weiterer Reformkritiker zur Mitwirkung bereit wäre. Sie benannte für diesen Fall den Bonner Germanisten Werner Besch und als dessen Stellvertreter Manfred Bierwisch. Kurz darauf scherte die Berlin-Brandenburgische Akademie (und damit Bierwisch) wieder aus. Sie plädierte dafür, „auf eine staatliche Regulierung der Rechtschreibung zu verzichten und die gewachsene Struktur und die lebendige Dynamik der deutschen Sprache beizubehalten.“ Anders als die Union sehe sie im Rat nicht die Voraussetzung für einen konstruktiven Dialog gegeben (vgl. Circular 2004). Professor Besch nahm an der konstituierenden Sitzung teil, ohne daß die Bedingung einer ausgewogeneren Zusammensetzung erfüllt worden wäre.
Die Lehrerverbände und zugleich den Beamtenbund vertritt Ludwig Eckinger, der im Beirat saß und seine Übereinstimmung mit den Kultusministern oft genug zu Protokoll gegeben hat; vgl. etwa VBE Pressedienst 50, 13.12.2001 oder Süddeutsche Zeitung vom 8.7.2000 sowie sein Votum bei der vom VdS organisierten Pressekonferenz am 1.10.2004 in Berlin. Im Beirat saß für den Gewerkschaftsbund noch Reinhard Mayer, über dessen private Geschäfte mit der Rechtschreibreform ich in meinem Buch „Rechtschreibreform in der Sackgasse“ berichtet habe; er war wohl nicht mehr tragbar. Bemerkenswerterweise ist der Deutsche Philologenverband nicht mehr eingeladen worden.
Vom Symposion Deutschdidaktik e.V., das seine Unterstützung der Rechtschreibreform u. a. in der F.A.Z. vom 12.10.2004 bestätigte, sind Einwände so wenig zu erwarten wie von den Lehrern im Germanistenverband (nur diese sind eingeladen, nicht die Hochschulgermanisten). Das „Symposion“ zählt übrigens die führenden Rechtschreibreformer Augst und Sitta zu seinen früheren Vorsitzenden; Sitta hat für das „Symposion“ über das von ihm selbst mitverfaßte Reformwerk ein Gutachten geschrieben, das denn auch sehr positiv ausfiel. Jakob Ossner, der das „Symposion“ vertreten wird, lehnt eine Rückkehr ausdrücklich ab:
„Professor Ossner findet sowohl die alte als auch die neue Orthografie unbefriedigend. Daher halte er nichts davon, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Die Entscheidung der FAZ sei 'im schlechten Sinne reaktionär'. Ohne 'Murren' würden seit einem Jahr die neuen Regeln angewandt.“ (Frankfurter Rundschau 1.8.2000)
Edmund Jacoby, der den Börsenverein vertritt, ist Leiter des Verlages Gerstenberg („Kleine Raupe Nimmersatt“ usw.) und gibt auch selbst Kinderbücher heraus, selbstverständlich in reformierter Rechtschreibung.
Auf deutscher Seite ist mithin kein einziger Reformgegner auszumachen, aber auch kein Experte für Orthographie (außer den Wörterbuchredaktionen).
Die österreichische Regierung hat als Hauptvertreter dieselben drei Personen in den Rat berufen, die bereits in der Zwischenstaatlichen Kommission saßen: Blüml, Schrodt und Steiner. Alle drei gemeinsam haben früh ein einschlägiges Buch verfaßt („Warum neu schreiben?“, Wien 1997). Blüml und Steiner (hauptberuflich) arbeiten am Österreichischen Wörterbuch mit. Für Schrodts Polemik gegen die Reformkritiker mag sein Aufsatz „Diesseits von G/gut und B/böse“ (informationen zur deutschdidaktik 1997/3, 13-17) als bezeichnendes Beispiel genannt sein.
Der prominente und beliebte Politiker Zilk hat sich einmal kritisch zur übertriebenen Getrenntschreibung geäußert, hält aber nichts von einer Rücknahme der Reform (Der Standard 14.12.2004). Scholz hat eine muntere Glosse über Erlebnisse mit seinem Rechtschreibprogramm geschrieben; er istAnhänger der Kleinschreibung und hofft, daß dieses sich irgendwann durchsetzt (ebd.). Lusser ist Verfasser von Rechtschreib-Schulbüchern („tip top in Rechtschreibung“, öbv&hpt) und wirkt in der „Arbeitsgruppe Grundschule“ im Auftrag des Schulministeriums bei der Durchsetzung der Reform mit. Von dieser Seite sind also keine Einwände gegen die weitere Durchsetzung der Rechtschreibreform zu erwarten. Nur Ludwig Laher ist als Kritiker der Reform hervorgetreten; er hat die reformbedingte Aussonderung und Vernichtung von Büchern in „alter Rechtschreibung“ aus Schulbüchereien ans Licht gebracht.
Auch die Schweiz schickt alle drei Mitglieder der Zwischenstaatlichen Kommission in den Rat: Sitta, Gallmann und Hauck. Dabei ist Hauck, Leiter der Sektion Deutsch der Zentralen Sprachdienste der schweizerischen Bundeskanzlei, noch am ehesten bereit, seiner besseren Einsicht zu folgen. Er hat für die Schweizer Regierung eine eigene Hausorthographie ausgearbeitet, die nicht mit der amtlichen Neuregelung übereinstimmt. In privatem Gespräch gab er schon 1999 zu, daß die ganze Reform mißlungen sei. Sitta und Gallmann sind maßgebende Mitverfasser der Reform. Wie sie als Reformdurchsetzer mit der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) zusammenarbeiten und dabei auch ihr finanzielles Interesse als Duden-Autoren nicht vergessen, wurde durch einen versehentlich an die Öffentlichkeit gelangten Brief vom 29.9.1996 an den Generalsekretär der EDK, Christian Schmid, deutlich. Er war einer „Stellungnahme zu den Unruhen bezüglich der Umsetzung der neuen Rechtschreibregelung in Deutschland“ beigefügt, worin es u. a. heißt:
„Auch wenn man alles, was an Vorwürfen gegen die Umsetzung der Reform in den neuen Wörterbüchern zu lesen war, zusammenrechnet, kommt man auf Prozentsätze, die das öffentliche Gegacker nicht wert sind, das da veranstaltet wird. Von geringen Ausnahmen abgesehen, die man getrost als Petitessen oder – dem Zeitgeist entsprechend – als Peanuts abtun kann, ist vorzügliche Arbeit geleistet worden – nicht nur beim Duden, aber auch und vor allem beim Duden.“
(Näheres zu diesem erstaunlich ungenierten Brief an den „lieben Christian“ in meinem Buch „Die sogenannte Rechtschreibreform“. Sittas Geringschätzung der Schriftsteller kommt in einem Beitrag zum St. Galler Tagblatt vom 5.10.2004 zum Ausdruck, worin er sie mit „Lemmingen“ vergleicht.) Der schönste Erfolg von Sittas Zusammenarbeit mit der EDK ist zweifellos, daß in der Schweiz weiterhin der Duden verbindlich ist: „Der Duden bleibt auch in seiner 21. Auflage massgebendes Referenzwerk für alle Rechtschreibfragen im Schulunterricht.“ (Erklärung der EDK vom 30.5.1996) Dabei hatte die Reform das Ziel, den Duden zu entmachten: „Das Ziel der Reform waren gar nicht die Neuerungen. Das Ziel war, die Rechtschreibregelung aus der Kompetenz eines deutschen Privatverlages in die staatliche Kompetenz zurückzuholen.“ (Karl Blüml in: Der Standard 31.1.1998)
Thomas Lindauer ist eng befreundet mit Peter Gallmann und dessen langjähriger Mitarbeiter und Mitverfasser von Schulbüchern und anderen Arbeiten; beide gehören zusammen mit ihrem gemeinsamen Lehrer Sitta zu den erfolgreichsten Vermarktern der Rechtschreibreform, auch als Duden-Autoren. (Der Dudenverlag ist also mindestens fünfmal im Rat vertreten, denn auch Hoberg ist Dudenautor.)
Peter Feller vertritt die Schulbuchverlage als Direktor des Lehrmittelverlags des Kantons Zürich. Er lehnt aus wirtschaftlichen Gründen jede Revision ab.
Frau Siegel ist Verfasserin von Werken wie „Vom Lipstick zum Laptop“ (Hörbuch); zur Rechtschreibreform hat sie sich anscheinend bisher nicht öffentlich geäußert, sagt jedoch auf Befragen: „Ich war und bin vehemente Kritikerin. Wenn es sich jedoch als gesichert herausstellt, dass sie nicht rückgängig gemacht werden kann, werde ich das als Pragmatikerin akzeptieren und für die kleinstmögliche Anzahl Änderungen kämpfen.“ (mitgeteilt von Peter Müller, Dezember 2004) Sie hat einen Lehrauftrag an derselben Fachhochschule Aargau, an der auch Lindauer Dozent ist.
„Dr. Monique R. Siegel hat sich mit ihrer Firma MRS MindRevival Strategies GmbH als Innovationsberaterin international etabliert. Als Bestsellerautorin, Publizistin und Dozentin äußert sich die Zukunftsforscherin an zahlreichen Veranstaltungen sowie in Fernseh- und Radiosendungen kompetent zu Themen wie Unternehmertum, Innovation, Bildung oder Kommunikation.“ (Internet)
Stephan Dové ist Chefkorrektor der Neuen Zürcher Zeitung. Als solcher ist er zwar von der amtlichen Neuregelung keineswegs überzeugt, lehnt jedoch eine Rückkehr zu bewährten Rechtschreibung ab.
Der Präsident des Lehrerverbandes, Max A. Müller, hat sich gelegentlich spöttisch über die Rechtschreibreform geäußert:
„Die deutsche Rechtschreibreform und das neue BL-Bildungsgesetz haben durchaus Gemeinsamkeiten. Beide Unternehmungen wurden unter Begründungen angezettelt, an die sich heute kaum mehr jemand erinnert, in beiden Fällen verlief die Projektphase eher holprig, die Erläuterungsrhetorik war blumig euphorisch, und das Resultat hinterlässt in der Umsetzung zunehmend Ratlosigkeit.“ (Rundschreiben des LVB)
Wirkliche Reformkritiker sind unter den 32 namentlich bekannten Mitgliedern des „Rates“ mit Ausnahme des Schriftstellers Ludwig Laher bisher nicht auszumachen. Der Auftrag des Rates läßt den schlichten Rückkehrgedanken oder ein grundsätzliches Überdenken der Reform auch gar nicht zu. Daß der Rat im Grunde die bisherigen Reformgremien auch personell fortsetzt, hat auch der VdS Bildungsmedien sofort erkannt: „Die Kommission und die Beiräte werden nach dem Willen der KMK in einen 'Rat für deutsche Rechtschreibung' zusammengefasst.“ (Jahresbericht 2004)
Um die Aussichtslosigkeit der Lage zu erkennen, muß man einen Blick auf den historischen Zusammenhang werfen. Der Zwischenstaatlichen Kommission war von den Politikern eine unerfüllbare Aufgabe zugewiesen worden:
„Die Zwischenstaatliche Kommission, die im Zuge der Neuregelung eingerichtet wurde, sollte im Grunde die Funktion übernehmen, die zuvor von der Dudenredaktion wahrgenommen wurde.“ (Beschlußvorlage der KMK für die Amtschefskommission vom 14.1.2004).
Die Aufgabe der Dudenredaktion besteht bekanntlich in erster Linie darin, Wörterbücher zu machen. Der „Rat“ soll nun die Zwischenstaatliche Kommission ablösen und ersetzen, also wohl ebenfalls die Rolle der Dudenredaktion ausfüllen. Daß ein 37köpfiges ehrenamtlich tätiges Gremium, das ganz überwiegend aus lexikographischen und linguistischen Laien besteht, die deutschsprachige Welt mit einem brauchbaren Wörterbuch versehen könnte, ist eine abenteuerliche Vorstellung. „Wann hätte je eine amtliche, halb- oder dreiviertelamtliche orthographische Konferenz etwas Vernünftiges zuwege gebracht!“ (Friedrich Roemheld: Die Schrift ist nicht zum Schreiben da. Eschwege 1969, S. 23).
Der Vorsitzende Hans Zehetmair will Arbeitsgruppen beauftragen, sich mit einzelnen Bereichen zu beschäftigen. Sie werden naturgemäß wiederum aus den Mitgliedern der alten Reformergruppe bestehen müssen, weil nur diese über die erforderliche Detailkenntnis verfügen. Doch selbst da hapert es. Der einzige, der orthographische Ideen hat, diese allerdings ohne jeden Respekt vor dem Erfordernis der Kontinuität zu verfechten pflegt, ist Peter Gallmann. Die wenigen Sprachwissenschaftler, die sonst noch zu finden sind, verstehen zu wenig von Orthographie. Kein einziger hat sich mit der Neuregelung in ihren verschiedenen Versionen näher beschäftigt.
Der „Rat“ wird also genau das tun, was die KMK anstrebt: alle fünf Jahre über die „problemlose“ Durchsetzung und phänomenale Akzeptanz der Reformschreibung berichten. Dabei wird er sich auf „Mehrheiten“ bei seinen internen Abstimmungen berufen und sich als „demokratisch“ zusammengesetzte Vertretung der Betroffenen darstellen. Die KMK-Vorsitzende Doris Ahnen hält ja die Zusammensetzung für sehr ausgewogen: „Ich kann in diesem Rat keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse erkennen.“ (SPIEGEL-Gespräch 22.11.2005) Auch das Statut drückt sich in nahezu parodistischer Anlehnung an Art. 38 GG so aus, als handele es sich um demokratische Repräsentanz durch „unabhängige“ Abgeordnete, „an Aufträge oder Weisungen nicht gebunden“. Demgegenüber haben einzelne Mitglieder persönlich mitgeteilt, daß sie selbstverständlich den Standpunkt ihres Verbandes und nicht ihren eigenen vertreten werden.
Warum es so kommen mußte, erklärt schlaglichtartig eine Äußerung Hans Zehetmairs Ende November 2004: „Sie wollen keine totale Rücknahme der Reform?“ – Zehetmair: „Nein. Das wäre nicht durchsetzbar.“ – Die Arbeit der Reformer hat schon vor über zehn Jahren die sachbezogene Diskussion aufgegeben und sich nur noch auf die „Durchsetzbarkeit“ beliebiger Änderungen konzentriert. („Die jetzt vorliegenden Vorschläge wurden allgemein als durchsetzbar angesehen,“ heißt es schon in der Vorlage für die Wiener Konferenz 1990 – wohlgemerkt: durchsetzbar gegen den Widerstand der Sprachgemeinschaft, die keine Veränderung des vertrauten Schriftbilds wolle.) Daher ist es nur konsequent, wenn jetzt Unternehmensvertreter und Verbandsfunktionäre in einem Gremium dominieren, das über Eingriffe in die deutsche Sprache berät und in dem solche Interessengruppen normalerweise nichts zu suchen hätten. Im Bundestag haben alle Parteien außer der FDP den Fraktionszwang eingesetzt, um die weitere Durchsetzung der Rechtschreibreform im Sinne der Lobby nicht zu gefährden.
Statt die Gesellschaft „mit der Rechtschreibreform zu versöhnen“, könnte man versuchen, die Kultusminister mit der bewährten Rechtschreibung zu versöhnen. Solange sie diesen Gedanken nicht an sich herankommen lassen, ist auch vom neuen „Rat“ nichts zu erwarten.
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Th. Ickler
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