RfdR – blickt jemand da noch durch?
Von Frau Sigrid Saxen, Husum, bekam ich diese Zusendung, deren Anhang es sicherlich lohnt, kommentiert zu werden. Ich reiche hier die Zusendung mitsamt den roten Auszeichnungen weiter. -- Wenn jemand mir die betreffende(n) Sendezeit(en) im DLF nennen kann, will ich versuchen, die Sendung(en) hier wiederzugeben.
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Lieber Detlef,
im DLF soll ja ein optimistischer Bericht zum Thema gewesen sein. Vielleicht ruft Dich Hans-Peter Heinrich an, wenn er Dich um eine Überspielung bittet. Er entdeckte die Diskrepanz zur Darstellung der FAZ. Also schicke ich sie Dir zum Vergleich, falls Du den Artikel nicht auch am 8./9.4. gelesen hast.
Gruß von Sigrid
aus FAZ.net, Fr., 8.4., 17.30 Uhr, für den 9.4.2005
Rechtschreibreform
Experten wollen entscheidende Änderungen
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat am Freitag in München noch keine Entscheidung über das Kernstück der Getrennt- und Zusammenschreibung gefällt. Vielmehr entspreche es der Verfahrensweise des Rates, erst nach Beratung des gesamten Komplexes abzustimmen, sagte der Vorsitzende des Rechtschreibrates, der frühere bayerische Wissenschaftsminister Zehetmair (CSU).
Mit einem Beschluß des Rates über die Getrennt- und Zusammenschreibung ist nicht vor dem 3. Juni zu rechnen. Zehetmair bekräftigte, es gelte zu unterscheiden zwischen gewachsenem Sprachgebrauch und systematischen Regeln. Er rechne jedoch fest damit, daß der Rat am 1. Juli einige entscheidende Änderungen vorlegen kann. Der Rat setzte am Freitag eine neue Arbeitsgruppe zur Silbentrennung am Zeilenende und zur Zeichensetzung ein.
Änderungen des Statuts geplant
Der Rat habe die Kultusministerkonferenz um zwei Statutänderungen gebeten, berichtete Zehetmair. Der Rat will seine Beschlüsse künftig nicht einstimmig fassen, sondern mit einer Zweidrittelmehrheit. Außerdem sollen ein Vertreter aus Liechtenstein und Südtirol Sitz und Stimme im Rat bekommen.
Bis zum 1. August könne der Rat nicht alle Einzelheiten abschließend erörtern, außerdem könnten Schulbücher und Wörterbücher bis zu diesem Zeitpunkt nicht geändert werden, kündigte Zehetmair an und erinnerte daran, daß der Rat für sechs Jahre gewählt sei. Kritisiert hat er die österreichische Entscheidung, die Literatur in der früheren Schreibung nicht mehr zuzulassen. Je mehr sich die Politik aus der Sprachentwicklung heraushalte, desto intensiver könne der Rat die Sprachentwicklung begleiten, sagte Zehetmair. Er rate der Kultusministerkonferenz, sich dem Votum des Rates nicht zu verschließen.
Kernstück der Reform
Die am Freitag beratene Getrennt- und Zusammenschreibung gilt als Kernstück der Reform und gleichzeitig als ihr umstrittenster Teil. Eine klare Entscheidung hätte zumindest im Blick auf einen der wichtigsten Paragraphen (34) den Zustand vor der Reform wiederherstellen können. Dieser Paragraph befaßt sich damit, wie Partikel, Adjektive, Substantive oder Verben mit Verben zusammengesetzt werden (drauflosreden, abhandenkommen, kennenlernen).
Über den ebenso fragwürdigen Paragraphen 36 soll ebenfalls beraten werden. Im Vergleich zur bisherigen Praxis, nur Varianten wieder zuzulassen, ist mit der Verabschiedung der Vorlage eine echte Änderung der Rechtschreibreform verbunden gewesen. Denn in den Wörterbüchern müßten sämtliche Wortlisten neu geschrieben werden, auch in Schulbüchern und in der Software wären umfangreiche Korrekturen vonnöten.
Scheitern selbst eingestanden
Beraten wurde über eine Vorlage der Arbeitsgruppe Getrennt- und Zusammenschreibung vom 5. April 2005, die von der Arbeitsgruppe einstimmig verabschiedet wurde. Geleitet wurde die Arbeitsgruppe vom neuen Direktor des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache, Eichinger. Mitgearbeitet haben außerdem der Schweizer Germanist Gallmann, der österreichische Germanist Schrodt, der Leiter der Duden-Redaktion Wermke, der Vorsitzende des Journalistenverbandes Hein, das österreichische Ratsmitglied Lusser sowie Peter Eisenberg als Externer, der die Reformvorschläge maßgeblich erarbeitet hat.
Mit ihrem einstimmigen Beschluß hatten die Reformer, die dieser Arbeitsgruppe angehörten, im Grunde selbst eingestanden, daß das Kernstück der Reform gescheitert ist.
„Spazieren fahren”, aber „spazierengehen”
Immerhin hat der Rat in seiner Sitzung am Freitag den meisten Änderungsvorschlägen zugestimmt. Der verantwortliche Reformer für diesen Komplex, der Siegener Germanist Burkhard Schaeder, hatte die häufigen Fehler beklagt, die aber nur bei strenger Orientierung am Duden als solche in den Blick traten. Weder Schüler noch Schreibende haben die Getrennt- und Zusammenschreibung jemals von Regeln abgeleitet. Vielmehr gab es unterschiedliche Möglichkeiten wie „ernst nehmen” und „zufriedenstellen”, während der Duden bestrebt war, nur noch eine einzige Schreibweise als richtig durchgehen zu lassen.
Wegen der Schwierigkeiten, die Getrennt- und Zusammenschreibung zu regeln, war dieser Teil auf der orthographischen Konferenz im Jahr 1901 bewußt ausgeklammert worden.
Die Arbeitsgruppe des Rechtschreibrats hat sich nicht entscheiden können, das vor der Reform übliche „leid tun” wieder zuzulassen, sondern hielt an „leidtun” fest, was Sprachwissenschaftler gegenüber dem ersten Reformvorschlag mit dem grammatikalisch falschen „Leid tun” als Verbesserung betrachten. Nach der Vorlage der Arbeitsgruppe hätte auch „kennenlernen” wieder in einem Wort geschrieben werden können, wohingegen „laufen lernen”, „baden gehen”, „spazieren fahren” und „schätzen lernen” in zwei Worten geschrieben werden, weil zwei Verben nebeneinander treten. Nach dieser Logik müßte auch spazierengehen auseinandergeschrieben werden. Es handelt sich zwar um zwei Verben, aber um ein und dieselbe Tätigkeit. Dieser Abschnitt ist im Rat äußerst umstritten und muß weiter präzisiert werden.
Text: oll., Frankfurter Allgemeine Zeitung
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