Ein übler Kater
Verzeihung, es muß hier wieder um das abseitige Thema Musik gehen.
Michael H. Kater ist eine Art kanadischer Guido Knopp. Er hat das Bedürfnis, Buchserien über das „Dritte Reich“ zu schreiben.
[Wikipedia] Michael Hans Kater (* 4. Juli 1937 in Zittau) ist ein kanadischer Historiker und zählt zu den international beachteten Forschern auf dem Gebiet des deutschen Nationalsozialismus… Ab 1967 lehrte er an der York University in Toronto.
Er schreibt auch, wenn er von seinem Gegenstand nur eine geringe Ahnung hat. Volker Hagedorn „war entsetzt“, als er in der ZEIT ein Buch rezensierte:
Der kanadische Historiker Michael H. Kater hat nach Büchern über Ärzte, Jazz und E-Musik im »Dritten Reich« jetzt acht Porträts unter dem Titel Komponisten im Nationalsozialismus versammelt, und Strauss kommt dabei ziemlich gut weg. Das könnte daran liegen, dass er dessen Musik ein bisschen kennt. Für Egk, Hindemith, Pfitzner, Orff, Weill, Hartmann und Schönberg gilt das nicht. Fast nur aus zweiter Hand und in Zitaten von oft dürftigster Kompetenz kommt deren Ästhetik zur Sprache – und das meist zur Unterstützung der These, dass die Kunst moralisch fragwürdiger Typen nicht gut sein kann.
zeit.de 11.11.2004
Katers mangelnde Kenntnisse und Sorgfalt führen zwangsläufig zu Geschichtsfälschung und üblen Fehlgriffen. Ich stieß bei der Suche nach Material zu Arnold Schönberg auf die Fußnoten in der englischen Ausgabe:
98. See the hidden anti-Semitic polemic in Alois Melichar, Schönberg und die Folgen […] (n.pl. 1960) 6 – 46.
[…]
102. […] Melichar, Schönberg und die Folgen, esp. 6 (2nd quote). For the medical analogy, see Michael H. Kater, “Das Böse in der Medizin: Nazi-Ärzte als Handlanger des Holocaust,“ Jahrbuch 1998/99 zu Geschichte und Wirkung des Holocaust (Frankfurt am Main, 1999), 226.
Kater suggeriert damit, der österreichische Filmkomponist und Dirigent Alois Melichar (1996-1976) habe in seiner Kritik des modernistischen Musikbetriebs antisemitische Polemik in einer Weise betrieben, die schon einmal geradewegs zum Holocaust geführt hätte.
Zufällig habe ich Melichars Buch vor kurzem auf dem Flohmarkt für 1 Euro erstanden und konnte nun die genannten ersten vierzig Seiten nachlesen. Nichts berechtigt Kater zu solch infamer Niedertracht. Im Gegenteil, Melichar zitiert fähige jüdische Musiker und Kritiker mit aller Hochachtung: Gustav Mahler, Hanns Eisler, Marcel Rubin, Bruno Walter, Paul Riesenfeld …
Das wohl gemeinte Zitat auf Seite 6 steht auf Seite 7 und stammt vom zwölftongläubigen Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung, K.H. Ruppel, der damit nach der Erstaufführung 1959 von Schönbergs unvollendeter Zwölfton-Oper „Moses und Aron“ jegliche Proteste als Antisemitismus brandmarken will: „Wem galten denn die Radauszenen in der Berliner Kantstraße? Einem jüdischen Komponisten, den das Naziregime zwang, seine Heimat Europa zu verlassen …“
(Ich habe damals die Aufführung am Radio verfolgt und bin über dem einförmigen akustischen Dauerstreß eingeschlafen.)
Alois Melichar weist, unterstützt vom 1938 geflüchteten Musikkritiker Riesenfeld, diese Deutung zurück und weist darauf hin, daß auch Henzes „König Hirsch“ von Protesten begleitet war. Die Leute wollten nicht, daß für Experimentalmusik das Geld für Aufführungen ihrer Lieblingsopern gekürzt wird.
Melichar entlarvt aber auch den Opportunismus der Zwölfton-Lobhudler, die kurz zuvor noch das Loblied auf das „Dritte Reich“ gesungen hätten. Nach 1945 kam es geradezu zu einer Machtergreifung der Dodekaphonisten – die darauf Melichar zum medialen Abschuß freigaben.
Auch der Komponist Berthold Goldschmidt, der in der Nazizeit emigieren mußte, verstummte vor der Übermacht der „Zwölftonsekte“, wie man von ihm hören konnte. Er kam erst in seinem neunten Lebensjahrzehnt, kurz vor seinem Tode, wieder zu Ehren.
Zur deutschen Ausgabe des Katerschen Werks schreibt Volker Hagedorn in der ZEIT noch:
Die Übersetzung geriet entsprechend grob. Mit »Chromatismus« ist vermutlich Chromatik gemeint, aber das ist eigentlich auch egal.
Da spürt man förmlich den Rheumatismus in allen Gliedern.
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